Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
die Tür aufgerissen wurde und seine Mutter herausstürzte.
»Simon!« Erschrocken starrte sie ihn an. Dann lief sie zu ihm und nahm ihn in die Arme. »Was ist denn passiert?«
Simon wand sich aus ihrer Umarmung. »Nichts.«
»So siehst du aber nicht aus!« Sie betrachtete ihn besorgt und entdeckte sein zerfetztes Hosenbein.
Simon folgte ihrem Blick und winkte ab. »Ein Fahrradunfall. Ich hab mich flachgelegt. Nichts Schlimmes.« Er hatte ein schlechtes Gewissen, sie anzulügen. Doch zum einen würde sie ihm kein Wort glauben, und zum anderen würde sie ihm garantiert verbieten, auch nur einen einzigen Schritt aus dem Haus zu tun, wenn sie von dem Besuch in der Stadt erfuhr. Doch das durfte nicht sein, er wollte zu Ira und mit ihr reden, alleine, ohne die anderen: ohne Tomas und seine misstrauischen Blicke, ohne Filippo und seine Kommentare, auch ohne Luc.
Seine Mutter nahm ihn mit ins Haus. »Komm, das seh ich mir mal an.« Kopfschüttelnd betrachte sie seine ramponierte Kleidung. »Geh hoch und zieh schon mal deine Sachen aus.« Sie hatte erst vor einer Stunde gemerkt, dass Simon nicht mehr in seinem Bett war, und sich Sorgen gemacht. Daran hatte auch der Zettel, den sie bald danach auf ihrem Nachttisch entdeckt hatte, nichts geändert. »Das nächste Mal weckst du mich, wenn du das Haus verlässt, ja?«
Simon versprach es und ging hinauf in sein Zimmer.
Langsam zog er sich aus. Jede Bewegung schmerzte, undals er sein Unterhemd über den Kopf gestreift hatte und im Spiegel seinen Körper betrachtete, wusste er, warum: Ein riesiger Bluterguss bedeckte seine rechte Seite, vom Knie bis zur Taille, und auch an seiner Schulter war die Haut rot unterlaufen. Der Aufprall nach ihrer Schussfahrt die Rolltreppe hinab war heftig gewesen. Schnell holte er frische Kleidung aus dem Schrank: Wenn das seine Mutter sah, steckte sie ihn ins Bett oder brachte ihn zum Arzt. Und das konnte er jetzt nicht gebrauchen.
Als sie wenig später sein Zimmer betrat, war er fertig angezogen.
»Was soll das?« Sie war erstaunt.
Simon tat lässig. »Alles in Ordnung. Nur ein paar kleine Kratzer.« Er hoffte, sie würde nicht merken, dass er nicht die Wahrheit sagte.
Sie betrachtete ihn forschend, und als er die Augen niederschlug, legte sie den Kopf schief. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. »Willst dich wohl vor mir nicht ausziehen …«
»Ehrlich, mir geht’s gut.« Er bemühte sich, sie anzulächeln. Doch sie grinste nur noch breiter. »Na gut. Bring deine schmutzigen Sachen in den Wäschekorb.«
Simon nickte eilig und sammelte seine Kleidung auf. Dabei beobachtete er seine Mutter aus den Augenwinkeln. »Ich wollte übrigens gleich wieder los.« Er hoffte, seine Stimme klang harmlos. »Ich möchte noch mal Ira besuchen.«
»Ira, aha.« Seine Mutter schmunzelte. »Deshalb also das Hemd …«
»Quatsch!«
Er hatte tatsächlich ein Hemd angezogen, sich dabei aber nichts gedacht. »Ich kann mir auch ein T-Shirt anziehen, wenn du willst …«
»Schon in Ordnung.« Lächelnd nahm sie ihm die schmutzige Wäsche aus dem Arm. »Kämm deine Haare. Und wasch dein Gesicht. Ist nicht verkehrt, glaub mir.«
Er nickte und lief aus dem Raum.
Seine Mutter rief ihm nach. »Und sei zum Abendessen zurück! Ohne Fahrradunfall!«
Simon versprach es. Kein Fahrradunfall, das war leicht. Doch er ahnte: Alles andere würde schwer werden.
25
Wie seine Mutter es ihm geraten hatte, wusch er sich sein Gesicht, und er hielt auch seinen Kopf unter den Wasserhahn und schäumte mit Shampoo den Staub aus den Haaren. Seine rechte Seite schmerzte, als er sich über das Waschbecken beugte.
Mit noch nassen Haaren ging er die Treppe hinunter. Ein Motorengeräusch war zu hören. Simon stutzte. Das kam von draußen! War sein Vater schon zurück? Eilig nahm er die letzten Stufen und lief über den Hof. Doch vor der Garage stand nur Tim und drehte zufrieden am Gashebel seines Motorrollers.
»Klingt gut, was?« Tim war sichtlich stolz, den Motor zum Laufen gebracht zu haben. Blaue Abgaswolken füllten den Platz vor dem offenen Garagentor.
Simon hustete.
Tim schaltete den Motor aus und beugte sich über den Motorraum.
Eine Weile sah Simon ihm stumm zu.
Tim schaute auf. »Ist noch was?«
Simon zögerte. »Ich hab dich nicht belauscht. Ich bin dir auch nicht hinterhergeschlichen.«
Tim verzog sein Gesicht, während er schweigend weiterarbeitete, offensichtlich glaubte er Simon kein Wort.
»Ehrlich! Ich sag die Wahrheit!«
»Und woher wusstest du von
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