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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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beider Aussage aus und legte sie ihnen zur Unterschrift vor.
    »Lesen Sie durch, ob das alles so stimmt. Oder besser gesagt, ob es mit dem übereinstimmt, was Sie mir erzählt haben.«
    Sie überflogen den Text und unterschrieben nacheinander. Balboni riss ihnen die beiden Bogen Papier aus der Hand.
    »Hoffentlich werden Sie nie wieder auf unsere Hilfe angewiesen sein.«
    Sie gingen durch den Korridor zum Aufzug, fuhren hinunter, durchquerten den Hof und traten hinaus in das gleißende Sonnenlicht. Lunau fühlte sich unbehaglich, und er hatte nur einen Gedanken: Gleich würde Silvia verschwinden, würde zu Sara und Mirko fahren, und er fuhr alleine zurück ans Meer. In diese Wohnung mit den hellen, freundlichen Wänden, die sie zusammen ausgesucht hatten. Er dachte an den stillen Abend - er saß in seiner dunklen Berliner Remise, sie auf ihrer Couch in Ferrara, sie telefonierten, tranken gleichzeitig ein Glas Rotwein, zu dem sie sich verabredet hatten, und betrachteten im Internet Fotos von Ferienwohnungen. 1200 Kilometer waren zwischen ihnen gewesen, aber Silvias Stimme war so nah, ihr kehliges Lachen, der Tanningeschmack. Sie hatten sich zusammen, zu viert in dieser Wohnung mit dem bunten Sofa, der sonnigen Loggia und den frischgetünchten Wänden gesehen. Im Hintergrund das Meer. Und so war es dann auch gekommen. Für zwei Tage. Er musste verhindern, dass sie jetzt in ihr Auto stieg und wegfuhr. Er betrachtete Silvia immer wieder von der Seite, aber sie reagierte nicht. Auf der Via Ercole d’Este fragte er: »Wie geht es Sara?«
    »Wie soll es ihr schon gehen?« Sie wollte sich umdrehen und ihn grußlos stehen lassen. »Silvia«, sagte er.
    »Was ist?«
    »Es kann nicht dein Ernst sein, dass es einfach so zu Ende geht.«
    »Es ist mein Ernst.«
    »Ich fühle, dass du …«
    »Was fühlst du?«, zischte sie ihn gehässig an. »Was weißt du über mich?« Ihr Gesicht war plötzlich grau und leblos.
    »Falls ich irgendetwas tun kann …« Er brach den Satz ab, weil sie ihn nur in den falschen Hals bekommen konnte.
    Dann ging er zu Fuß durch die zur Siesta in Hitze erstarrten Gassen. Er war unterwegs zum Busbahnhof, doch dann blieb er kurz stehen, dachte nach und schlug einen anderen Weg ein.
31
    Auf einer Rucksackreise durch Westafrika hatte Kaspar Lunau vor siebzehn Jahren, damals noch Student der Politik- und Sozialwissenschaften, seine erste größere Reportage geschrieben. Dann hatte er sich innerhalb kürzester Zeit zu einem angesehenen investigativen Journalisten entwickelt. In seinen Filmberichten hatte er nachgewiesen, dass Kindersklaven die Kakaobohnen für die westlichen Lebensmittelkonzerne ernteten, er hatte sich in Bürgerkriegsgebiete gewagt unddie Agentur »Solidarnews« gegründet, ein informelles Netzwerk, in dem Reporter einander auf internationaler Ebene unterstützten, um Boykott, Einschüchterung und Zensur auszuhebeln. Er hatte Förderstipendien und Preise gewonnen, aber als Kurt, sein Freund und Kameramann, an einem Kontrollposten von eritreischen Freischärlern erschossen worden war, hatte er sich dem Radio zugewandt, weil er da alleine arbeiten konnte. Er brachte niemanden in Gefahr und war niemandem Rechenschaft schuldig. Er kaufte sich einen Digitalrekorder, zigarettenschachtelgroß, mit den besten Datenwandlern und einem unvergleichlichen Klang. Für gewöhnlich bedeuteten elektronische Geräte ihm wenig, aber zu diesem Modell hatte er eine besondere Bindung entwickelt, und nachdem es im Mai mit einem kurzen Platschen, gefolgt von seinem Handy und dem restlichen Audioequipment, nachts im Po versunken war, während er mit auf den Rücken gefesselten Händen auf einem Schwimmbagger lag, hatte er nur mit Mühe Ersatz auftreiben können. Längst war die Baureihe vom Hersteller durch eine andere ersetzt worden. Aber Lunau wollte genau dieses Modell. Und nun lag es in der Via Modena im Korridor eines Mehrfamilienhauses, über dem Türsturz von Michael Duhulas Wohnung.
    Michael Duhala, der 28-jährige nigerianische Zuhälter und Drogendealer, war verschwunden. Er schien nicht zu wissen, dass die Polizei gar nicht hinter ihm her war. Sein Apartment war leer, das Handysignal nicht mehr zu orten.
    Lunau machte sich auf zu Silvias Haus, weil er sich verantwortlich fühlte für ihre Familie und weil er seine eigene Auffassung von diesem Fall hatte. Er ließ den Leihwagen langsam vorbeirollen und parkte in etwa fünfzig Metern Abstand, im Schatten einer Werbetafel, auf der Wahlplakate klebten.

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