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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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dessen Kanten der Beton abbröselte und verrostete Stahlträger freigab. Wäsche und Satellitenschüsseln hingen von den Balkonen. Da ging die verglaste Stahltür auf, und ein Schwarzer kam mit zwei übereinandergestapelten Kartons heraus.
    »Kennst du Oba?«, fragte Lunau ihn, bekam aber keine Antwort. Der Schwarze wuchtete die Kartons in den Kofferraum eines verbeulten Lancia. Lunau ging durch die Tür und forderte den Aufzug an. Als dieser eintraf, traten noch zwei Schwarze mit Kartons heraus.
    Lunau fuhr nach oben in den achten Stock und fand die offene Wohnungstür. Oba hantierte in der Küche, er warf gerade Besteck in eine Plastiktüte, die Zimmer waren weitgehend leergeräumt.
    »Was passiert hier?«, fragte Lunau.
    »Das fragen ausgerechnet Sie? Das haben wir Ihnen zu verdanken. Die Bullen waren hier und haben alles auf den Kopf gestellt. Keiner von uns hat reguläre Papiere. Wir müssen verschwinden.«
    Lunau starrte auf Obas hektische Bewegungen. »Wohin?«
    Oba zuckte mit den Achseln. »In eine andere Wohnung, in einen anderen Ort, was weiß ich. Wir brauchen neue Handys, neue Adressen, das sind alles unnötige Kosten.«
    »Oba, du musst mir helfen.«
    Oba warf die Teller, die er in der Hand hielt, wütend in die Spüle.
    »Wieso sollte ich?«
    »Ich suche Michael Duhula. Er hat Meseret umgebracht.«
    Jetzt hielt Oba inne und drehte Lunau den Kopf zu. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, eine glatte Stirn, hinter der es arbeitete. »Selbst wenn Sie ihn finden. Wer soll ihn schon bestrafen?«
    »Die Justiz.«
    Oba schnaubte verächtlich. »Die Justiz ist für Leute, die sie sich leisten können. Die Zeit und Geld haben.«
    »Hast du Meseret jemals mit Michael gesehen? Haben sie gestritten?«
    Oba zuckte mit den Achseln.
    »Denk genau nach.«
    »Hab ich schon. Die Antwort ist: nein.«
    »Hatte Meseret jemals mit Drogen zu tun?«
    »Wieso sollte er?«
    »Er konnte sich zwei Wohnungen leisten.« Lunau dachte, dass Meseret vielleicht nicht nur bei Joy zu Michael in Konkurrenz getreten war. Womöglich hatte Joy ihm auch Einblicke in den Kokainhandel verschafft, und Meseret hatte in Michaels Revier gewildert. Vielleicht waren die Verstümmelungen eine Warnunggewesen für jeden, der Meseret imitieren wollte. Vielleicht war den Adressaten für diese Warnung klar, um wen es sich bei dem Toten handelte, nur die Polizei sollte ihn nicht identifizieren. Deshalb waren die Fingerkuppen abgetrennt worden.
    Oba hatte innegehalten und schaute Lunau böse an. »Wenn ein Schwarzer Geld hat, ist er ein Dealer?«
    Lunau sah zu, wie Oba die Teller, die er in die Spüle geworfen hatte, auf Sprünge kontrollierte. Dann fragte er in ruhigem Ton: »Zeigst du mir Meserets Sachen?«
    Oba deutete auf ein Zimmer, in dem die Staubmäuse um eine Matratze tanzten. Daneben ein windschiefer Kleiderschrank und eine Reisetasche aus abgestoßenem Kunstleder. »Darf ich?«, fragte Lunau.
    Oba zuckte mit den Achseln. Lunau öffnete den Reißverschluss der Tasche und fand mehrere Paar Jeans, Sweatshirts und Unterwäsche. Außerdem ein Fotoalbum mit Familienbildern. Lunau sah ein Ehepaar, das seine Kinder an den Händen hielt und in die Kamera lachte. Genauso hatten die Fotos in Michaels Wohnung ausgesehen. Genauso sahen Fotos aus Lunaus Kindheit aus. Nur waren seine Eltern anders gekleidet, der Vater fast immer in dunklem Anzug, die Mutter in langem Kleid. Neben Kaspar die Schwester, einen halben Kopf größer. Die Schwester, die er bewundert und geliebt hatte. Die aus seinem Leben verschwunden war, aus ihrer aller Leben, seinetwegen.
    Unter dem Rückendeckel lag ein loses Bild. Es zeigte Joy, mit einem großen grünen Pistazieneis, das sie wie ein Mikrophon vor den Mund hielt. Dieselbe Farbewie das Schlafzimmer in Bosco Mesola. Offensichtlich Joys Lieblingsfarbe. Im Schrank hingen nur ein paar Popeline-Jacken und ein Jackett.
    »Was wird aus den Sachen?«, fragte Lunau.
    »Die bleiben hier.«
    »Kann ich sie mitnehmen?«
    »Von mir aus.«
    Die Habseligkeiten gaben keinen Aufschluss darüber, warum Meseret eine Bedrohung darstellen konnte. Aber vielleicht hatten sie für Joy eine Bedeutung.
    »Falls du Hilfe brauchst, ruf mich an«, sagte Lunau und steckte Oba seine Visitenkarte zu.
    »Die Karte habe ich schon. Was ich brauche, sind Papiere oder einen Job. Können Sie mir das besorgen?«
    Lunau schüttelte den Kopf. Er dachte an die weißen Wände der Ferienwohnung, an die bunte Tagesdecke auf dem Sofa, an die Wohnküche, in der niemand saß.

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