Der Tote im Eiskeller
wurden groß. «Ich möchte Mademoiselle Fenna nicht belästigen, gleichwohl ist es mir ein tiefes Bedürfnis, ihr Trost zuzusprechen. Ich dachte nur, es sei angemessen, Euch als ihren Vormund um Erlaubnis zu fragen. Wenn Ihr glaubt, es sei ihr angenehm …» Er schob seinen Stuhl zurück, erhob sich umständlich und griff nach den Astern, die er auf den Tisch gelegt hatte, prüfte mit raschen, kenntnisreichen Blicken ihre Blüten, knickte eine schon müde ab und steckte sie in die Rocktasche. So wie er reifen Samen seiner Pflanzen einsteckte, wenn er durch die Reihen in seinen Gärten ging und welchen entdeckte, den seine Helfer übersehen hatten. «Wenn Ihr glaubt, es sei angemessen, würde ich sie jetzt gerne begrüßen.» Er räusperte sich, eine rasche Röte flog über sein Gesicht, und eine zweite, allerdings tadellose Blüte fand ihr frühzeitiges Ende. «Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mich begleiten würdet. Obwohl wir beinahe verwandt sind», fügte er steif hinzu, «bin ich für Mademoiselle Lehnert doch ein Fremder.»
Elias’ Aufforderung zeugte von wenig Übung in Besuchen bei jungen Damen aus gutem Haus, denen niemals, selbst nach einer Verlobung nicht, erlaubt war, mit jungen Herren allein zu bleiben. Doch eine so zarte Rücksicht, die nicht nur von einer tadellosen Erziehung, sondern auch von einer für einen erfolgreichen Mann seltenen Unsicherheit sprach, rührte Claes. Elias Malthus war bei aller Steifheit doch ein angenehmer Mensch.
Erst auf der Treppe hinauf zum Salon begriff er, was er gleich hätte bemerken müssen, als sein Besucher in diesem Sonntagsaufputz und mit den Blumen unter dem Arm das Kontor betrat: Der jüngere Malthus versuchte, in die Fußstapfen seines älteren Bruders zu treten. Das Erbe war ihm nicht genug – er wollte auch die Braut. Und deren Mitgift.Die neugeborene Sympathie schwand so plötzlich, wie sie entstanden war.
Als sie den Kopf der Treppe erreichten, die aus der Diele hinauf zur Galerie und weiter zu den oberen Etagen führte, hörten sie vom nächsten Stockwerk Stimmen.
«Fenna ist in ihrem Zimmer», erklärte Claes und öffnete die Tür zum vorderen Salon. Er hatte gehofft, dort seine Frau zu finden, um sie zu bitten, Fenna zu holen. Doch der Salon war leer, helles Sonnenlicht fiel auf das warm schimmernde Mahagoni des runden Tisches, auf die mit gestreiftem ostindischem Chintz bezogenen Stühle, den mit Intarsien eingelegten Schrank und den weißen Kachelofen. Auf einem kleinen Tisch zwischen den beiden Fenstern lagen ein aufgeschlagenes Buch und ein Stickrahmen, die Nadel steckte in einer fast fertigen, von geschwungenen Ranken umgebenen blassgelben Blüte.
Claes erkannte Fennas Handarbeit und zögerte. Vielleicht hatte sie aus dem Fenster gesehen, wie Elias an das Portal klopfte, und war in ihr Zimmer geflohen. Vielleicht war es ihr zu schmerzhaft, in ein Gesicht zu sehen, das Viktors so sehr glich. Es nützte nichts, diese Begegnung konnte er ihr nicht ersparen.
Ein hell perlendes Lachen ließ Elias zusammenzucken und enthob Claes aller Bedenken. Fennas Lachen war ihm unverkennbar, auch wenn er es seit Tagen nicht mehr gehört hatte.
«Das Mädchen», log er rasch, «die Zofe meiner Frau. Sie lacht immer so – vergnügt. Nehmt Platz, ich werde sehen, wo die Damen sich versteckt haben.»
Er schob den immer noch in der Tür wartenden und zu den oberen Stockwerken hinauflauschenden Elias in den Salon und zog hinter ihm die Tür sorgfältig ins Schloss.
Vor Fennas Zimmer blieb er stehen, die Stimmen warennun nichts als ein Murmeln. Er musste sich geirrt haben. Fenna, seit der Nachricht von Viktors Tod wie erstarrt, konnte nicht so gelacht haben.
Seit Sophie fort war, hatte er nie mehr an diese Tür geklopft, und er ärgerte sich, dass er nicht in die Küche hinuntergegangen war, um eines der Mädchen nach Fenna zu schicken. Dem alten Blohm mutete niemand mehr die große Zahl der Stufen zu. Er klopfte, die Stimmen verstummten, und als gleich darauf die Tür geöffnet wurde, stand er Thea gegenüber. Sie hielt einen Kamm in der Hand, ihre Miene war von seltener Heiterkeit, und Claes fühlte sich plötzlich im eigenen Haus wie ein ungebetener Gast, was seiner Stimmung nicht förderlich war.
Fenna saß vor ihrem Frisiertisch, ein Umhang aus Batist lag um ihre Schultern, das offene Haar fiel darüber in sanften Wellen bis zur Taille hinab. Sie drehte sich um, neugierig, wer da an die Tür geklopft hatte, und in ihren Augen verlosch der Rest
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