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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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dass sie über zu wenig dem Anlass gemäße Garderobe verfügte. Das Problem war ihre Figur. Schon von daher war die Auswahl begrenzt und reduzierte sich auf vier, fünf großräumig geschnittene Kleider, die sie in einem Designerladen für Übergrößen in der Rue St. Honoré kaufte. Obgleich in Farbe und Stoff unterschiedlich, erschienen sie ihr alle gleich eintönig und ohne Chic. Was für eine elegante Erscheinung war sie früher gewesen! Sie hatte Chanel und Dior getragen, Kleider für Frauen mit Modelfigur. Sie seufzte und entschied sich ohne großen Enthusiamus für ein schwarzes, changierendes Kleid aus Rohseide, weil schwarz schlank macht. Erneut hörte sie Erics Stimme aus dem Salon.
    »Es geht los, Chantal! Léon als Gegenkandidat erledigt das ganz lässig. Er hat dem Clochard gerade die Hand geschüttelt. Hoffentlich wäscht er sich die, bevor er uns nachher begrüßt.« Es klang so, als würde sich Eric jetzt schon davor ekeln.
    Chantal verdrehte die Augen und seufzte. Warum tue ich mir das an?, fragte sie sich. Warum bleibe ich nicht einfach zu Hause, statt mich auf dieser Aftershowparty zu langweilen und mir jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, was ich anziehen soll? Aus Erfahrung wusste sie, wie der Abend für sie verlaufen würde. Eric, Ribanville und der Großkotz Léon Soulier lächeln gemeinsam in die Reporter-Kameras. Eric gibt Anekdoten und Bonmots zum Besten, umringt von jungen Frauen mit großzügigen Dekolletés,
die an seinen Lippen hängen … In ihrer Langeweile würde Chantal sich dem Buffet zuwenden und der Versuchung nicht widerstehen können, sich den Teller vollzuschaufeln. Dies wiederum müsste sie später bereuen, weil es Gift für ihre Figur war …
    Sie fasste einen Entschluss. Sie hängte das schwarze Seidenkleid zurück in den Schrank und ging mit schweren Schritten hinüber in den Salon. Am Türrahmen blieb sie einen Moment stehen und blickte auf den Bildschirm. Yves Ribanville thronte mit übergeschlagenen Beinen in seinem Quizmastersessel aus hellem Leder. Er trug einen knallblauen Anzug mit gleichfarbiger Krawatte und ein weißes Hemd. Seine eingegelten, dunklen Haare glänzten im Licht der Scheinwerfer. Er wandte sich soeben an den Clochard, lächelte ihm routiniert zu und stellte die erste Frage.
    »Nick - ich darf Sie doch Nick nennen? - Sie dürfen anfangen. Es geht um tausend Euro. Die Frage ist ganz einfach. Wie viele Arrondissements hat Paris?«
    Der Clochard rutschte auf seinem Sessel hin und her, überlegte fieberhaft, sah dann Ribanville an und blickte anschließend direkt in die Kamera. Die verfilzten Rastalocken hingen ihm beinahe bis auf die Schultern. Aus seinem zerzausten, grauen Bart wuchsen ein Paar wulstige Lippen, die er jetzt zu einem Lächeln entblößte. Sein linker, oberer Schneidezahn fehlte, und der Rest der gelben Zähne stand kreuz und quer. Die Regie schaltete rasch auf eine andere Kamera, die das Geschehen im Studio in der Totalen zeigte.
    Chantal räusperte sich.
    »Ich komme nachher nicht mit, Eric«, sagte sie zu ihrem Mann.

    »Was?« Eric drehte sich zu ihr. »Wieso denn nicht?«
    »Weil ich keine Lust habe.« Sie deutete auf den Bildschirm. »Ich habe keine Lust, Leute zu treffen, die einen solchen Schwachsinn verzapfen und sich dann auch noch feiern lassen.«
    Immer noch hatte der Clochard die Frage nicht beantwortet. Ribanville drehte sich jetzt in die Kamera und sagte: »Wir geben Nick noch etwas Zeit, die Antwort zu finden. In der Zwischenzeit geht die Frage zunächst an unsere Zuschauer. Rufen Sie jetzt an. Die Leitungen sind drei Minuten geschaltet.« Die Nummer der Hotline wurde eingeblendet.
    Eric trank einen weiteren Schluck Whisky.
    »Schade«, sagte er mit leisem Bedauern. »Du hattest es mir zwar versprochen, aber wenn du nicht willst …« Er warf ihr einen Blick zu, der bekümmert und traurig wirkte.
    Chantal kannte dieses Spiel, und sie hatte es längst durchschaut. Eric war kein Mann, der je laut oder gar ausfällig wurde, wenn etwas nicht so lief, wie er wollte. Stattdessen verfiel er in die Rolle des kleinen, enttäuschten Jungen, dem seine Mutter etwas versprochen hatte, was sie nun doch nicht hielt. Doch heute würde Chantal nicht nachgeben. In all den Jahren hatte er sie auf diese Weise immer um den Finger wickeln können. Liebe kann auch eine Last sein, und zwar dann, wenn man ihr verfallen ist. Es wurde Zeit, endlich die Ketten zu sprengen und dem Spiel ein Ende zu bereiten. Schluss mit den Lügen und

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