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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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er Jean-Marc.
    Jean-Marc traute seinen Ohren nicht. Hielt dieser Typ ihn etwa … Jetzt packte der Mann ihn am Revers seiner Weste. Jean-Marc bemerkte die muskulösen Arme seines Gegenübers. Arme, die im Fitnessstudio Gewichte stemmten. Seine Hände waren wie Schraubstöcke, und sein Atem roch nach Zigarettenrauch und Zwiebeln.
    »Ich sag dir was, Freundchen«, zischte er. »Verschwinde hier sofort, oder ich ruf die Polizei!«

    Mit einem schnellen, geübten Griff befreite Jean-Marc sich vom Arm seines Gegenübers und stieß ihn zurück.
    »Die brauchen Sie nicht zu rufen, Monsieur«, sagte er lässig und holte seinen Dienstausweis aus einer der zahlreichen Westentaschen. »Die ist schon hier. Brigade Criminelle.«
    Als er einen Blick auf das blau-weiß-rote Dokument mit Jean-Marcs Foto warf, schien der Wirt einen Moment lang verblüfft. Doch dann wischte er sich mit einer heftigen Geste beide Hände an seinen Jeans ab, als hätte er sich an Jean-Marcs Safariweste mit einem gefährlichen Virus infiziert.
    »Das ändert nichts daran, was Sie meiner Meinung nach für einer sind«, murmelte der Wirt feindselig und ging wieder zum Sie über. Wenigstens das hatte Jean-Marcs Dienstausweis bewirkt.
    »Was ich für einer bin, wie Sie so schön sagen, geht Sie gar nichts an. Und jetzt beantworten Sie bitte meine Frage! Kennen Sie die Jungen, die in der Maison de Dieu wohnen?«
    Der Wirt presste die Lippen zusammen. Seine Miene wirkte ebenso finster wie sein Blick. Er antwortete nicht. Jean-Marc zog das Foto von Joseph Croix aus der Tasche.
    »Den hier zum Beispiel. Haben Sie den schon mal gesehen?« Der Wirt überlegte, ob er antworten sollte, dann nickte er vage.
    »Ist der nicht als vermisst gemeldet?« Er kratzte sich am unrasierten Kinn. Es schabte wie auf einem Stück Sandpapier. »Der Priester hat das Foto vor ein paar Tagen hier in den Geschäften verteilt. Ich hab’s aber nicht ausgehängt.«

    »Warum nicht?«
    »Das geht Sie einen Dreck an. In meinem Laden kann ich tun und lassen, was ich will.«
    Genau, dachte Jean-Marc. Ein Wahlplakat der Ultrarechten an die Wand hängen, aber nicht das Foto eines vermissten Waisenjungen.
    Die Feindseligkeit aus dem Blick des Mannes war nicht gewichen. Jean-Marc seufzte und schüttelte leicht den Kopf. Da redete man in diesem Land nun von Toleranz, von Dingen, die sich angeblich verändert hatten. Es gab das Antidiskriminierungsgesetz, wonach niemand wegen seines Geschlechts, seiner ethnischen Herkunft oder seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden durfte. Und hier saß er nun dem Inbegriff eines Schwulenhassers gegenüber, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt. Der Paradiesvogel entsprach in den Augen dieses Typs anscheinend genau dem Klischeebild eines »Kinderfickers«. Jemand, der sich im Umfeld einer Schule herumtrieb, auf Spielplätzen, oder vor einem Waisenhaus, um dort nach Beute Ausschau zu halten. Kleine Jungs … die Anspielung war deutlich genug gewesen. Jean-Marc wusste nur allzu gut, dass genügend Männer herumliefen, auf die all dies zutraf. Er entschloss sich, das Verhalten des Wirts nicht persönlich zu nehmen. Leute wie ihn würde es immer geben. Was die Vorurteile der Mehrzahl der Bevölkerung anging, würde sich wahrscheinlich nie etwas ändern.
    Von diesem Mann würde er nichts erfahren, das hatte Jean-Marc begriffen. Dennoch machte er einen letzten Versuch. Einer spontanen Eingebung folgend, zog er das Porträtfoto des toten Jungen aus der Seine hervor. Das Foto war
entstanden, nachdem Dr. Foucart das Gesicht des Jungen gesäubert hatte. Es erweckte den Eindruck, als schliefe er.
    »Und diesen Jungen hier, kennen Sie den?« Der Wirt machte sich gar nicht erst die Mühe, einen Blick darauf zu werfen, sondern sagte gleich: »Nein. Nie gesehen.«
    Jean-Marc zahlte die Cola und trank im Stehen noch den letzten Schluck.
     
    Als er das Café-Tabac verließ, schlug ihm die Hitze entgegen. Kein Lüftchen wehte durch die Straße. Die Temperatur mochte bereits an die dreißig Grad betragen und würde weiter steigen.
    Ein alter Mann in kurzen Sporthosen, Badeschlappen und Unterhemd führte seinen Hund über den Bürgersteig. Die undefinierbare Promenadenmischung mit widerspenstigem, grauem Fell hob das Bein und pinkelte an einen Laternenmast. Der Mann sprach mit dem Tier, lächelte ihm zu. Es schien fast, als ob der Hund zurücklächelte. Die beiden ähnelten einander, wie Weggefährten, die eine lange Strecke eines einsamen Daseins gemeinsam

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