Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
Vom Netzwerk:
entpuppte sich als Toilette. Erstaunlicherweise war sie nicht verstopft, sondern nur von bräunlich gelbem Urinstein verfärbt. Nick zog die Spülung. Sie funktionierte, und ein Schwall rostiges Wasser ergoss sich in die Toilettenschüssel. Nick grinste. Er hatte eine komfortable Unterkunft mit Spülklosett gefunden! Jetzt galt es nur noch, den passenden Raum auszusuchen. Er fand sich wenige Meter weiter. Ein verwinkeltes Eckzimmer. Offenbar ein ehemaliges Büro, denn ein alter Schreibtisch und ein großes, leeres Aktenregal mit hölzernen Rolltüren standen in einer Ecke des Raumes. In der Nische dahinter war genug Platz, um ein Lager aufzuschlagen. Hier drinnen war es schön kühl, und Nick glaubte nicht, dass sich je irgendwer hierher verirrte. Seit langer Zeit hatte niemand das Gebäude betreten. Die Abdrücke seiner Profilsohlen auf den jungfräulich-staubigen Fußböden waren der Beweis dafür.
    Nick legte den Schlafsack auf den Boden und stellte seine wenigen Sachen ans Kopfende. Eine Plastiktüte mit zwei Flaschen billigem Rotwein, die er gestern an einer Tankstelle gekauft hatte. Ein Stück Hartkäse, schon einige Tage alt und wegen der Hitze weich und verschwitzt. Die Reste eines Pain de Campagne von gestern früh, erschnorrt in der Bäckerei auf der Rue Lesage. Er zog die beiden Bündel mit den Geldscheinen aus seinen Gesäßtaschen und blickte sich suchend um. Wo konnte er seine dreitausend Euro verstecken? Da Nick fürs Erste keine Lösung fand, steckte er das Geld wieder ein. Vielleicht
war es ja doch am sichersten, wenn er es am Körper trug.
    Er rollte seinen Schlafsack aus und ließ sich ächzend auf seine neue Lagerstatt sinken. Todmüde fühlte er sich. Und vollkommen verwirrt. Seit Stunden kreisten seine Gedanken wie flatternde Vögel um die große Erinnerungslücke, die sich letzte Nacht aus heiterem Himmel aufgetan hatte. Blut an seinen Händen und Kleidern. Eine weiße, große Fläche, auf der sich Blut in Strömen ergoss … weiter kam er nicht. Ein schwarzer Vorhang war gefallen und hatte den Rest des Geschehens verhüllt. Nick schlug sich an die Stirn. Wieso ist das alles weg?, fragte er sich und spürte erneut die Panik, die seit seiner Ankunft im Parc de Belleville immer wieder in ihm aufgestiegen war. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Draußen auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Das Geräusch klang gedämpft und wie von weit her. In diesem Gebäude würde er erst einmal bleiben. Hier fühlte er sich sicher. Es war kühl, und niemand würde ihn aufspüren.
    Plötzlich vernahm er ein weiteres Geräusch. Es kam nicht von der Straße. Aber auch nicht aus diesem Zimmer oder irgendwo aus dem Gebäude. Es war in seinem Kopf und setzte sich fest. Eine Tür wurde zugeschlagen. Wo war diese Tür? Hatte er sie ins Schloss fallen lassen? Es war ein durchdringender Laut, der anzuschwellen schien. Konnte er ihm dabei helfen, sich zu erinnern? Doch er erinnerte sich nicht, und jetzt war das Geräusch verschwunden. Vielleicht hatte er sich auch getäuscht und sich das Klacken der Tür nur eingebildet? Es war sinnlos, darüber nachzudenken. Sein Kopf brauchte Ruhe, sonst würde er noch verrückt werden.

    Kurz darauf schlief er ein. Bevor er tief und traumlos wegsackte, sah er den Schatten einer Gestalt, die von rechts nach links an ihm vorbeihuschte. Er erkannte keine Einzelheiten; nur lange, blonde Haare, die wie windgepeitscht hinund herwehten und das dazugehörige Gesicht verdeckten.
     
    Ihre Schritte hallten auf dem steinernen Fußboden. Es schien wie der Klang der Ewigkeit in diesem altehrwürdigen Gemäuer. Auf den wuchtigen Sandsteinplatten gab es viele Unebenheiten. Abgetretene Stellen, Unregelmäßigkeiten in der Verfugung. Herausgebrochene Stücke. Im Lauf vieler Jahrhunderte, beinahe eines Jahrtausends, waren unzählige Menschen über sie hinweggeschritten. Hatten die Strecke vom Eingang der Kirche durch das Hauptschiff bis zum Altar zurückgelegt. Hatten sich in stiller Andacht auf die Gebetsbänke gekniet. Waren zu einer der fünf Seitenkapellen gegangen. Hatten die Beichtstühle aufgesucht, um für ihre Sünden um Vergebung zu bitten … Die Steinplatten hatten alle Wirren der Zeit überdauert. Nach Erstürmung und Plünderung der Kirche während der Revolution waren einzelne Platten herausgebrochen worden, die man später ersetzte. Insbesondere die drei Grabplatten vor der Kapelle des heiligen Paulus waren seinerzeit zerstört und nur in Bruchstücken wieder zusammengefügt

Weitere Kostenlose Bücher