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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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zögerte zunächst. Doch als sie den Ausdruck nackter Angst in Candices Augen sah, nahm sie es und legte es auf ihre Knie. Sie griff nach ihrer Lesebrille, schlug die erste Seite auf und begann zu lesen. Nach wenigen Zeilen spürte sie, wie ihre Finger zu zittern begannen. Eine Viertelstunde lang sagte keine von ihnen ein Wort. Candice schenkte sich jetzt doch ein Glas Wein ein und trank es in einem Zug leer.

    Seite um Seite las Chantal in Yves Ribanvilles Tagebuch. Sie hatte sich so gut gefühlt am heutigen Tag. Keine Kopfschmerzen, und der Kreislauf hatte trotz unverminderter Hitze erstaunlich gut durchgehalten. Doch jetzt fiel alles wie ein Kartenhaus zusammen. Sie spürte die Schweißbäche, die ihr über den Rücken liefen, und das Herz, das in ihrer Brust hämmerte. Candice Ribanville blickte sie unverwandt an, beobachtete jede kleinste Reaktion.
    Als Chantal die Lektüre beendet hatte, klappte sie das Buch zu und ließ es auf ihren Knien liegen. Mit tonloser Stimme, die ihr nicht gehorchen wollte, sagte sie: »Oh mein Gott … Wie entsetzlich! Das habe ich nicht gewusst!«
    Candice zeigte auf den Umschlag des Tagebuchs.
    »Ach ja? Aber da steht drin, dass Eric gesagt hat, Sie hätten mal irgendeine Andeutung gemacht! Dann müssen Sie doch was geahnt haben!«
    Chantal ballte ihre Hand, bis die Knöchel weiß hervortraten.
    »Geahnt, was heißt geahnt? Das hier … « Sie deutete auf das Tagebuch. »Das habe ich nicht gewusst, das müssen Sie mir glauben!«
    »Wie auch immer. Yves ist tot, und die Polizei wird in seinem Leben herumwühlen.«
    Chantal nahm sich zusammen und versuchte, entspannt zu wirken. Jetzt hieß es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Was hatte Candice Ribanville vor? Bestand die Gefahr, dass sie die Nerven verlor? So dumm konnte sie nicht sein. Chantal griff nach ihrem Weinglas und trank einen Schluck.

    »Die Polizei darf dieses Tagebuch nicht in die Finger bekommen«, sagte sie betont ruhig. »Am besten vernichten Sie diese Aufzeichnungen. Das ist in unser beider Interesse.«
    »Ja, Eric steckt tief mit drin. Wo ist er eigentlich hingefahren?«
    Ja, wo ist er hingefahren?, dachte Chantal. Er hatte es ihr nicht gesagt, als er am Mittag, mit einer kleinen Reisetasche bewaffnet, die Wohnung verlassen hatte. Nur, dass er Sonntagabend wieder zurück sein würde. Chantal hatte nie nachgefragt in all den Jahren. War das ein Fehler gewesen? Bekam sie jetzt die Quittung dafür, dass sie alles toleriert und geschluckt hatte?
    Candice nahm das Tagebuch von Chantals Schoß und steckte es zurück in die Leinentasche.
    »Wollen Sie es nicht hierlassen?«, fragte Chantal rasch und streckte die Hand danach aus. »Falls die Polizei auf die Idee kommen sollte, Ihre Wohnung auf den Kopf zu stellen. Bei mir würde es keiner vermuten.«
    Candice lachte. Es klang spitz und hysterisch.
    »Damit Sie es vernichten? Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Nein, ich bringe es an einen sicheren Ort. Wer weiß, wozu ich es noch brauche.«
    »Ja, wer weiß. Aber ich warne Sie, Candice: Was immer Sie damit vorhaben, lassen Sie Eric aus dem Spiel! Lösen Sie die Seiten heraus, wo es um ihn geht.«
    »Keine Angst, Chantal. Erpressung liegt mir nicht. Und Eric ist mir vollkommen egal. Es geht einzig und allein um meine Familie und um das Andenken meines Mannes. Und darum, wer alles Kenntnis davon hatte.«

    »Ich jedenfalls nicht.«
    »Nächste Woche ist die Beerdigung. Ich rechne fest damit, dass Sie und Eric Yves die letzte Ehre erweisen. Ganz gleich, was in diesem Tagebuch steht.«
    »Selbstverständlich, Candice.«
    »Wir sitzen in einem Boot, Chantal. Vergessen Sie das nicht. Es kann weder in Ihrem noch in meinem Interesse liegen, dass unsere Familien zerstört werden. Aber ich wollte Sie wenigstens in Kenntnis setzen. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie mit Eric darüber reden oder nicht. Ich an Ihrer Stelle würde es tun.«
    Sie erhob sich, nahm die Leinentasche und ging zur Tür.
    Zwei Minuten später stand Chantal noch immer wie betäubt auf dem Flur. Mit Eric reden? Das würde sie sich gründlich überlegen, Vorteile und Nachteile eines solchen Gesprächs genau abwägen. Warum hatte Candice sie in diese dreckige Geschichte hineingezogen? Vor zwei Stunden hätte Chantal sich noch nicht träumen lassen, dass sie jemals ein Geheimnis mit dieser Amerikanerin teilen würde. Noch dazu eines, das sie automatisch zu einer Komplizin werden ließ.
    Wohin war Eric gefahren? Sie ging zum Telefon. Es gehörte nicht zu ihren

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