Der tote Raumfahrer
einzigen Wirklichkeit. Das, was sie hinter sich gelassen hatten, hatte – zeitweise – aufgehört zu existieren.
Stundenlang verweilte er in den Aussichtskuppeln auf der Außenhülle. Und während er auf das einzige hinaus-blickte, das noch vertraut war – die Sonne –, fand er sich langsam mit der neuen Dimension ab, die seiner Existenz hinzugefügt worden war. Die ewige Präsenz der Sonne, ihr unablässiger Strom lebensspendenden Lichts und Wärme schenkte ihm Beruhigung. Hunt dachte an die ersten Seeleute, die sich nie aus der Sichtweite der Küste hinaus-
gewagt hatten. Auch sie hatten etwas Vertrautes gebraucht, an dem sie sich festklammern konnten. Aber bald würde der Mensch seinen Bug auf das offene Meer richten und in die Leere zwischen den Galaxien eintauchen. Dort existierte keine Sonne, die ihn beruhigen konnte. Dort gab es überhaupt keine Sterne. Selbst die Galaxien würden nur noch verwaschene Flecken sein, die auf dem Weg in die Unendlichkeit verstreut waren.
Welche fremden Kontinente harrten auf der anderen Seite dieser Ozeane ihrer Entdeckung?
Danchekker verbrachte eine seiner Freizeitperioden in der Nullgravitationssektion des Schiffes und sah einem dreidi-mensionalen Rugbyspiel zu, das zwischen zwei Mann-schaften dienstfreier Besatzungsmitglieder ausgetragen wurde. Das Spiel basierte auf dem amerikanischen Football und fand in einer gewaltigen Kuppel aus transparentem, elastischem Kunststoff statt. Die Spieler sausten hinauf und hinunter, in alle Richtungen, prallten aufeinander und krachten gegen die Wand. Es war eine prächtige Keilerei, die – ganz nebenbei – auch dem Zweck diente, den Ball durch eines der kreisförmigen, sich gegenüberliegenden Tore zu werfen. In Wirklichkeit diente die ganze Sache nur als Vorwand, Dampf abzulassen und die Muskeln zu trainieren, die während der langen, monotonen Reise zu erschlaffen begannen.
Ein Steward tippte dem Wissenschaftler auf die Schulter und informierte ihn, daß in der Videozelle außerhalb des Sportdecks ein Anruf auf ihn wartete. Danchekker nickte, löste die Sicherheitsöse seines Gürtels vom Ankerpunkt des Sessels und hakte sie ins Geländer ein. Mit einem einzelnen mühelosen Stoß schickte er sich auf die Reise und schwebte anmutig auf die Tür zu. Hunts Gesicht sah ihm entgegen.
Er rief aus einer Entfernung von fast einem halben Kilometer an.
»Guten Morgen, Dr. Hunt«, meldete sich Danchekker.
»Oder welche Zeit auch immer wir gerade in dieser Höllenkiste haben.«
»Hallo, Professor«, gab Hunt zurück. »Ich habe mir einige Gedanken über die Ganymeder gemacht. Da sind ein oder zwei Punkte, über die ich gern ihre Meinung hören würde. Können wir uns irgendwo treffen, um einen Happen zu essen? Sagen wir in der nächsten halben Stunde oder so?«
»Meinetwegen. Wo ist es Ihnen am liebsten?«
»Nun, ich bin bereits auf dem Weg zum Restaurant in der E-Sektion. Ich werde dort eine Weile bleiben.«
»Ich bin in ein paar Minuten da.« Danchekker unterbrach die Verbindung, glitt aus der Nische heraus und zog sich in den Korridor zurück. Dort schwebte er auf den Zugang einer der diagonalen Schächte zu, die nach ›unten‹
zur Schiffsachse führten. Indem er sich am Geländer fest-hakte, segelte er eine Zeitlang dem Schiffszentrum entgegen, bevor er gegenüber einem Schachtausgang abbremste.
Durch die Transferschleuse schwebte er in eine der Rota-tionssektionen mit künstlicher Schwerkraft bis hin zu einem Punkt nahe der Achse, wo die Schwerebeschleunigung gering war. Entlang einem anderen Geländer setzte er sich wieder in Bewegung und spürte, wie er allmählich schneller wurde. Zehn Meter weiter landete er auf den Füßen, auf einem Teil seiner Umgebung, der plötzlich zum Boden geworden war. Normalen Schrittes ging er weiter und folgte einigen Wegweisern zum nächsten Röhrenbahnterminal.
Dort betätigte er die Ruftaste und wartete etwa eine halbe Minute auf die Ankunft einer Kapsel. Sobald er sich im Innern befand, tastete er seinen Zielort ein, und ohne jede Erschütterung sauste er innerhalb von Sekunden durch die Röhre der E-Sektion des Schiffes entgegen.
Das rund um die Uhr geöffnete Selbstbedienungsrestau-rant war etwa halb voll. Aus der Küche hinter der Kasse drang das übliche Rasseln von Besteck und Geschirr. Dort servierte ein Trio aus UNWO-Köchen großzügige Portio-nen verschiedener kulinarischer Angebote, die von UNWO-Eiern und UNWO-Bohnen bis hin zu UNWOHähnchen und UNWO-Steaks reichten. Auf der
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