Der tote Raumfahrer
dieser Thematik anzulegen. Zwei jüngeren Physikern, die sich nicht schnell genug aus dem Staub machten, als Hunt die Aufgaben verteilte, wurde die Herkulesarbeit übertragen, diesen Datenberg durchzusieben. Sie benötigten einige Zeit, bis sie auf das Thema der Hemisphärenanomalien stießen. Als es soweit war, fanden sie Berichte über eine Reihe von Datierungsexperimenten, die vor einigen Jahren von einem Nukleoniker namens Kronski im Max-Planck-Institut in Berlin durchgeführt worden waren. Die in jenen Berichten aufgeführten Daten veranlaßten die beiden Physiker, alles stehen und liegen zu lassen und sich unverzüglich auf die Suche nach Hunt zu machen.
Nach einer längeren Diskussion rief Hunt per Vi-Phon Dr. Saul Steinfield von der physikalischen Fakultät der Universität von Nebraska an, der sich auf Mondphänomene spezialisiert hatte. Als Folge dieses Anrufs traf Hunt Vorkehrungen, die Leitung der Gruppe L für ein paar Tage an seinen Stellvertreter zu übergeben, und früh am nächsten Morgen flog er nach Omaha ab. Steinfields Sekretärin erwartete Hunt am Flughafen, und innerhalb einer Stunde befand sich Hunt in einem der Labors der physikalischen Fakultät und betrachtete ein Mondmodell, das einen Durchmesser von einem Meter hatte.
»Die Kruste ist nicht gleichmäßig beschaffen«, sagte Steinfield und zeigte auf das Modell. »Auf der erdabgewandten Seite ist sie wesentlich dicker als auf der erdzugewandten – das ist bereits lange bekannt, seit dem Zeitpunkt, als in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts der erste künstliche Satellit in eine Mondumlaufbahn gebracht wurde. Das Massezentrum des Mondes ist zwei Kilometer vom geometrischen Zentrum entfernt.«
»Und es gibt keine einleuchtende Erklärung dafür«, grübelte Hunt.
Steinfields umherzuckende Arme vollführten weiterhin wilde, kreisförmige Bewegungen in Richtung des Globus vor ihnen. »Sicher, es gibt keinen einleuchtenden Grund dafür, warum sich die Kruste auf der einen Seite wesentlich dicker formen sollte als auf der anderen, aber das spielt auch keine Rolle, denn bei der Bildung der Kruste sind diese Verdickungen nicht entstanden. Das Material, aus dem die Oberfläche der erdabgewandten Seite beschaffen ist, ist wesentlich jünger, als jedermann bis vor ... äh ... etwa dreißig Jahren geglaubt hat – verdammt viel jünger! Aber das ist Ihnen bekannt ... darum sind Sie ja hier.«
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, sie habe sich erst kürzlich gebildet«, bemerkte Hunt.
Steinfield warf seinen Kopf nachdrücklich von der einen auf die andere Seite, was dazu führte, daß die beiden Büschel aus weißem Haar, die an den Seiten seines ansonsten kahlen Schädels entsprangen, wie zwei Wimpel flatterten. »Nein. Wir können behaupten, daß sie genauso alt ist wie der Rest des Sonnensystems. Ich meine folgendes: Dort, wo sie sich jetzt befindet, ist sie noch nicht sehr lange.«
Er legte seine Hand auf Hunts Schulter und drehte ihn halb herum, so daß er auf die Wandkarte blicken konnte, die ein Schnittbild durch das Mondzentrum zeigte. »Hier können Sie es sehen. Die rote Schale ist die ursprüngliche Außenkruste, die den ganzen Mond umgibt – sie ist, wie man erwarten sollte, annähernd kreisrund. Auf der erdabgewandten Seite – hier – befindet sich darauf dieses blaue Zeug, das vor nicht langer Zeit hinzugefügt wurde.«
»Auf der eigentlichen Oberfläche also.«
»Genau. Irgend jemand hat einige Milliarden Tonnen Schutt auf die alte Kruste gekippt – aber nur auf dieser Seite.«
»Und das ist ziemlich überzeugend bestätigt worden?« erkundigte sich Hunt, nur um wirklich sicherzugehen.
»Klar ... sicher. In den Boden der erdabgewandten Seite sind genügend Bohrlöcher und Schächte getrieben worden, um uns ziemlich genau zu sagen, wo sich die alte Oberfläche befindet. Ich werde Ihnen mal etwas zeigen ...« Der größte Teil der gegenüberliegenden Wand bestand aus nichts anderem als Reihen von kleinen Metallschubladen, jede ordentlich mit einem Kennungsetikett versehen, die sich vom Fußboden bis zur Decke erstreckten. Steinfield durchquerte den Raum, bückte sich, um die Etiketten zu betrachten und murmelte gleichzeitig vor sich hin. Mit einem plötzlichen »Da haben wir's!« stürzte er sich auf eine der Schubladen, öffnete sie und kehrte mit einem Glasbehälter in seinen Händen zurück. Er enthielt ein großkörniges Bruchstück einer hellgrauen, steinigen Substanz, das an einigen Stellen schwach
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