Der Tote trägt Hut
Wagen von einer Frau gefahren wurde. Die Polizei hier kriegt den Bruder nicht zu fassen. Wahrscheinlich hat er immer noch nicht rausgefunden, wie man sein Handy auflädt. Aber der Krückenhändler meinte, sein Bruder hätte den Unfall erwähnt. Er meinte irgendwas von einem teuren Auto und einer Chinesin, die nicht Thai sprechen wollte. Sie war völlig fertig, weil sie als Erste am Unfallort gewesen war. Als der Bruder eintraf, ist sie weggefahren. Er war allein. Ihm blieb nur, Hilfe zu rufen.«
»Das wird alles ziemlich kompliziert«, sagte ich.
Es summte in meinem Kopf. Straßenbauarbeiter verbreiterten meine Engstirnigkeit. Versuchten, meine Wahrnehmung zu erweitern. Ich musste die Ereignisse der letzten Woche durchgehen, einen männlichen Täter löschen und ihn durch einen weiblichen ersetzen. Wie sexistisch war ich eigentlich? Kein einziges Mal hatte ich mich in den Hotels und Ferienanlagen nach Frauen erkundigt. Kein einziges Mal hatte ich die Möglichkeit bedacht, dass eine Frau zu solchen Gewalttaten fähig war. Sogar als man mir eine Tatverdächtige präsentierte, habe ich mich gegen die Möglichkeit gesträubt. Ich war eine schlimme Chauvinistin.
»Sie muss nicht unbedingt Chinesin gewesen sein«, sagte Opa Jah mit seiner entnervend ausdruckslosen Stimme. »Vielleicht war es eine Thai mit Perücke.«
Ich lachte. »Wozu bräuchte sie eine Perücke, um jemandem vorzugaukeln, sie wäre …? Oh.« Ich begriff. »Du bist immer noch bei der Nonne, nicht?«
»Es passt alles zusammen«, sagte er. »Sie richtet es so ein, dass es aussieht, als hätte jemand Fremdes es getan, und verkleidet sich. Mietwagen. Schleicht sich aus dem Tempel und wieder rein, ohne gesehen zu werden. Motiv. Gelegenheit. Außerdem ist sie eine klassische Psychopathin, die zwei Drittel ihres Lebens einen Mönch verfolgt hat. Auf die würde ich wetten.«
Ich glaubte es nicht. Nicht nur, weil sie eine Nonne war, die ihr Leben lang die wahre Liebe gesucht hatte. Es war sehr wohl möglich, dass ich das gut nachempfinden konnte, aber eine gute Journalistin sollte in der Lage sein, Distanz zu einem Fall zu halten. Selbst wenn ich von Opas Szenario ausging und ich mich an einem Punkt wiederfand, dass ich Abt Winai von der Abteilung Inneres ausmerzen musste, um bei meinem Liebsten sein zu können, hätte ich so eine Tat doch niemals derart methodisch durchplanen können. Ich sah den Mord an diesem Abt nicht als Zwischenspiel. Hier wurde nicht einfach nur eine Bedrohung ausgeschaltet. Ein Mitwisser wurde aus dem Weg geräumt. Ich hatte die Fotos gesehen. Abt Winai war zweifellos der Star der Show, und sein Ableben war der Höhepunkt. Alles drehte sich um ihn, nicht um sie.
»Ich glaube, es wird Zeit, dass wir Ihrem Großvater die Fotos zeigen«, sagte Chompu.
Daran hatte ich natürlich selbst schon gedacht, wenn auch nur kurz. Opa Jah hatte sich unser Vertrauen verdient, aber hier ging es nicht nur darum, Informationen zu vermitteln. Hier wurde ein Geheimnis verraten. Der Lieutenant und ich hatten Beweise bewusst zurückgehalten. Das war eine Straftat. Opa Jah konnte nicht mal ein Bier trinken, ohne freiwillig ins Röhrchen zu pusten. Da verstand er keinen Spaß. Er hatte sich sein eigenes Leben vermiest, indem er ehrlich war. Ich hatte keine Ahnung, wie er das jetzt aufnehmen würde. Chompu konnte bei diesem Lotteriespiel alles verlieren, wofür er gekämpft hatte, aber er setzte dennoch alles auf eine Karte.
Opa Jah überlegte ein paar Sekunden. Sein Kopf nickte im Rhythmus des Piepens, das anzeigte, dass die Fahrertür nicht zu war. Dann sah er den Polizisten an.
»Ich hab mich schon gefragt, wann ihr wohl dazu kommen würdet«, sagte er.
»Du wusstest, dass ich die Bilder runtergeladen habe?«, fragte ich.
»Du meinst, es interessiert mich nicht, wieso ein Polizeileutnant morgens um halb elf mit dir auf dein Zimmer geht?«
Darauf hätte ich abfällig antworten sollen, aber ich war immer noch schockiert.
»Hast du mir schon wieder nachspioniert?«
»Ich saß nur zufällig gerade in einem Busch und dachte mir nichts Böses. Aber ich gebe zu, ich hätte nichts dagegen, mir diese Bilder mal aus der Nähe anzusehen.«
Opa war dabei. Wir waren gerettet. Eine Allianz dreier wenig vertrauenswürdiger Leute.
»Tja, und als wären das nicht schon genug gute Nachrichten«, sagte Chompu, »habe ich unseren bescheidenen Ermittlungen noch etwas hinzuzufügen. In seiner Aussage hatte Tan Sugit erwähnt, er sei von vier Ganoven – manchmal
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