Der Tote vom Kliff
Das war ein gerissener Hund, der
Laipple. Der wusste, wie man seine Schäflein ins Trockene bringt.«
Instinktiv warf Lüder einen Blick auf den Kunden mit
der randlosen Brille, der seine Zeitschrift auf die Knie hatte sinken lassen
und mit offenem Mund der Unterhaltung folgte.
Auch Hundegger hatte das mitbekommen. »Das ist alles
bekannt. Deshalb kann man freimütig darüber reden. Matthias Sommer hat das
ausgegraben. Pfiffiges Bürschlein. Schade, dass es ihn aus der Kurve getragen
hat. Dann gibt es noch einiges zu erzählen, aber das machen wir lieber unter
vier Augen.«
Amüsiert sah Lüder, wie der wartende Kunde enttäuscht
sein Playboymagazin wieder aufnahm.
Haarschnitt und Maniküre waren abgeschlossen, der
Figaro bürstete dem Konsul die Haare von der Schulter. Hundegger zeigte auf
Große Jägers Finger mit den schwarzen Trauerrändern. »Sie sollten sich auch
einen Termin geben lassen.«
Er bezahlte, gab ein Trinkgeld, ließ sich in den
Mantel helfen und forderte die beiden Beamten auf: »Kommen Sie.«
Auf der Straße empfing sie hektisches Treiben, obwohl
der Neue Jungfernstieg nicht mit der Geschäftigkeit der anderen Straßen rund um
die Binnenalster mithalten konnte. Die Fontäne in der Mitte des Gewässers
spuckte ihren Strahl gen Himmel, und das altehrwürdige Hapag-Reedereigebäude
schimmerte mit seinem grünen Dach durch den Wasserschleier. Ich möchte so
sorglos sein wie die Touristen, dachte Lüder und sah den Alsterdampfern nach,
die Eingeweihte immer noch nicht Alsterschiffe nann- ten.
Hundegger wandte sich nach links, passierte das Haus
der Deutsch-Südamerikanischen Bank, die sich schon lange eine Großbank
einverleibt hatte, und steuerte den Eingang des renommierten Überseeclubs an.
Mit dem markanten Gebäude an der Binnenalster verbanden sich namhafte
Persönlichkeiten der Hamburger Geschichte. Es wurde ursprünglich vom Kaufmann
Gottlieb Jenisch erbaut und später vom Bankier Gustav Amsinck erworben.
Lüder half Hundegger, die schwere Tür zu öffnen, und
wie von Geisterhand erschien ein Bediensteter im Smoking, warf einen
abschätzenden Blick auf die drei neuen Gäste und entschloss sich, den Konsul
anzusprechen.
»Ich bin mit Senator Montag verabredet«, sagte
Hundegger, nannte seinen Namen und ließ sich aus dem Mantel helfen.
Der Angestellte musterte Große Jäger eindringlich und
fragte mit der Stimme eines englischen Butlers: »Alle drei, der Herr?«
Der Clubmitarbeiter hatte den Mantel über den Arm gelegt,
wies auf einen Durchgang, der in die repräsentative Halle des Clubs führte, und
bat darum, sie mögen Platz nehmen.
Lüder sah sich um. Es war ein gediegenes Ambiente, in
dem sich die trafen, die »dazugehörten«. Das waren in Hamburg seit jeher
Kaufleute, Banker und die Spitzen der Verwaltung. Sitzgruppen aus rotem Leder
luden zum Verweilen ein.
Große Jäger ließ sich in einem der Polster nieder,
zeigte auf die in der Halle präsentierten Porträts, Landschaften und
Genre-Bilder des 18. und 19. Jahrhunderts. »Das sind aber prächtige
Ölschinken.« Dann wanderte sein Blick weiter zu den schweren Kristalllüstern,
die von der stuckverzierten Decke herabhingen. »Die möchte ich nicht putzen
wollen.«
Nicht nur das Interieur des Überseeclubs, auch der
Mitarbeiter hätte jedem vornehmen englischen Club gut zu Gesicht gestanden.
»Die Herrschaften speisen gerade. Man hat mir gesagt,
man erwarte nur einen Gast«, sagte er, und sein Blick blieb bei Konsul
Hundegger hängen. »Wenn die anderen Herren hier warten möchten? Darf ich Ihnen
etwas zu trinken bringen? Einen Kaffee?«
»Kaffee ist eine gute Idee«, erwiderte Große Jäger
schnell. »Aber den wollen wir da oben trinken. Und dabei ein bisschen mit den
Leuten sprechen.«
Bevor der Clubmitarbeiter einen Einwand erheben
konnte, sagte Hundegger schnell: »Das geht in Ordnung.«
Der Angestellte deutete eine kurze Verbeugung an, so
knapp und gekonnt, dass es nicht devot wirkte, und ging voran zur offenen
Marmortreppe, die ins Obergeschoss führte.
Das hat hanseatischen Stil, dachte Lüder. Elegant und
beeindruckend, aber ohne überladenen Pomp.
Zur Rechten lag der große Saal mit den ornamentalen
Stuckaturen und den geschnitzten Türbekrönungen, während sie in das
Jenischzimmer geführt wurden, wie der Bedienstete erklärte.
An einem festlich gedeckten Tisch saßen fünf Männer
und blickten ihnen entgegen.
»Herr Konsul Hundegger«, stellte der Clubmitarbeiter
vor.
Ein sportlich wirkender Mann im
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