Der Tote vom Kliff
Können wir
nun zum Wesentlichen kommen?«
»Wir sind mittendrin«, erwiderte Lüder vergnügt.
»Wie oft war Katja von Mühl hier zu Besuch?«, fügte
Große Jäger nahtlos an.
Die Frage kam so zügig, dass Dr. Laipple spontan
antwortete. »Ein paar Mal.« Dann nagte der Manager an seiner Unterlippe. Man
sah ihm an, dass er sich kurzfristig überrumpelt fühlte.
»Wir wissen, dass es eine tiefe
Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und der Schauspielerin gegeben hat«,
sagte Große Jäger.
»Das ist eine Interpretation, der ich nicht folgen
würde. Außerdem sind das ganz persönliche Dinge, über die ich nicht sprechen
werde. Es ist meine Intimsphäre.«
Lüder lächelte. »Das sehen manche Mitbürger anders.
Sie werden die ganze Geschichte morgen in der Zeitung lesen. Das arme Mädchen
sieht sich um Zusagen betrogen, die Sie ihr für die Zukunft gemacht haben.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!« An der Stirn des Managers
war deutlich erkennbar eine Zornesader hervorgetreten. »Woher wollen Sie
solchen Unsinn wissen?«
»Ich sagte schon: Wir sind die Polizei«, mischte sich
Große Jäger erneut ein.
Dr. Laipple winkte ärgerlich ab. »Wenn das wahr ist,
was Sie dort behaupten, werden sich meine Anwälte der Sache annehmen. Sie
schenken diesem Boulevardgeschwätz doch keinen Glauben?«
»Uns interessieren nur Fakten«, erwiderte Lüder und
wurde kurz von Große Jäger abgelenkt, der mit dem Knöchel auf den kleinen
Beistelltisch klopfte und dabei vor sich hinmurmelte: »Fakten – Fakten –
Fakten.«
»Gab es einen Streit mit Frau von Mühl?«, hakte Lüder
nach.
»Streit! Die Dame muss etwas missverstanden haben. Es
ist kein Thema, das für die Presse geeignet ist.«
»Einzelheiten wollen Sie uns nicht wissen lassen?«
»Nein!« Die Antwort des Bankmanagers klang
entschieden.
Große Jäger kniff die Lippen zu einem Spalt zusammen.
Dann bewegte er bedächtig seinen Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er halblaut.
»Sie sind eine öffentliche Person. Da werden sich die Leute der Sonntagszeitung
das Maul zerreißen, wenn Intimes in der Zeitung zu lesen ist. Ich könnte mir
vorstellen, dass die Redaktion keine Kosten und Mühen gescheut hat und den
Artikel vor der Veröffentlichung noch einmal von Rosamunde Pilcher hat
überarbeiten lassen.«
Dr. Laipple sah demonstrativ auf seine Armbanduhr.
»Meine Zeit ist knapp bemessen. Können wir ernsthaft miteinander sprechen? Mir
wäre sehr daran gelegen, wenn Sie sich kurz fassen würden.«
»Wir benötigen noch ergänzende Informationen zu Ihrem
Gast, Lew Gruenzweig.«
Große Jäger hatte die Beine übereinandergeschlagen und
überließ es Lüder, zu reden.
»Sprach Gruenzweig Deutsch?« Lüder überlegte, wie sich
der Amerikaner allein bis zu Laipples Haus zurechtgefunden und in welcher
Sprache er mit Hollergschwandtner verhandelt hatte.
»Nein! Lew hat sich vehement geweigert, die Sprache
von Mördern anzuwenden.«
»Aber er hat sich nicht gescheut, Geschäfte mit
Deutschland und den Deutschen zu machen.«
»Business ist nicht deutsch. Money auch nicht.«
»Pecunia non olet«, erwiderte Lüder.
Große Jäger lehnte sich zurück und verschränkte
grinsend die Arme vor der Brust. »Geld stinkt nicht«, murmelte er halblaut.
Plötzlich schien ihm doch etwas einzufallen. »War das nicht eine Art
Entschuldigung des römischen Kaisers Vespasian dafür, dass er eine
Latrinensteuer erhob? Ist das Geld aus internationalem Business auch anrüchig?«
»Wir sollten ein gewisses Niveau wahren«, wandte sich
Dr. Laipple an Lüder, ohne dabei eine Spur Aufgeregtheit zu zeigen.
Internationales Business – überlegte Lüder. Während
Dr. Laipple mit der Bank und sein Partner Gruenzweig in der Weltliga
spielen, gelten dem Genossenschaftsgedanken verbundene Einrichtungen als provinziell,
auch wenn sie bei aller beschimpften Spießigkeit dank einer soliden und
bodenständigen Geschäftspolitik nahezu unbeschadet durch die Weltfinanzkrise
gekommen sind. Wäre es denkbar, dass ein im ersten Moment nicht ernst
genommenes Kommando »Schulze-Delitzsch«, getrieben von politischen
Randaktivisten, doch mit dem Ritualmord an Gruenzweig ein Zeichen setzen
wollte? War Gruenzweig vielleicht nur ein Zufallsopfer und Lüders Gegenüber,
Dr. Laipple, als Symbolfigur des deutschen Kapitalismus, eigentlich vorgesehen
gewesen? Der Drohbrief! Vielleicht sollten wir ihm doch mehr Aufmerksamkeit
schenken, schloss Lüder seine Überlegungen.
Die durch seine Gedanken entstandene Pause
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