Der Tote vom Strand - Roman
aber nicht zu fassen, weder auf der Wache noch zu Hause. Sie hinterließ auf seinem Anrufbeantworter die Nachricht, sie habe versucht, ihn zu erreichen.
Das ist die neue Zeit, dachte sie resigniert, als sie aufgelegt hatte. Wir leben in einer Welt der verstümmelten Kommunikation. Wir benutzen das Telefon nur, um zu erklären, dass ein Kontaktversuch leider nicht geglückt ist. Ziemlich düstere Lage, wirklich.
Die andere Mitteilung brauchte sie nicht zu beantworten. Sie stammte von ihrem ehemaligen Freund (Liebhaber? Typen? Verlobten?), der erklärte, er werde sie um acht Uhr im Werder erwarten. Dasselbe Lokal wie gestern, dachte sie. Und auch dieselbe Zeit.
Nur ein anderer Mann. Gut, dass ich morgen nach Hause fahre, dachte sie. Das Personal kommt sonst noch ins Grübeln. Und wird womöglich seine wenig schmeichelhaften Schlüsse ziehen ...
Sie beschloss, trotzdem hinzugehen. Aber nicht zu lange zu bleiben. Sie fühlte sich so müde, wie Selma Perhovens aussah, als sie einige Minuten vor fünf nach Hause kam.
»Keine nächtlichen Diskussionen heute«, sagte sie.
»Um keinen Preis«, sagte Moreno.
Sie waren bis nach zwei aufgeblieben. Hatten die ganze Maager-Lijphart-Geschichte durchgesprochen. Hatten über Beziehungen geredet, über Typen, Kinder, Beruf, Bücher, die Situation im ehemaligen Jugoslawien, und die Frage, was es wirklich bedeutete, die erste freie Frau der Weltgeschichte zu sein.
Grundlegende Themen, wie gesagt. Aber nicht noch eine Nacht, bitte.
»Danke fürs Kinderhüten«, sagte Selma Perhovens.
»Sie hat überhaupt keine Kinder gehütet«, erklärte Drusilla.
»Helmer und ich haben uns den ganzen Tag gegenseitig gehütet.«
»Richtig«, sagte Moreno. »Und morgen fahre ich auf jeden Fall nach Hause. Heute Abend habe ich noch eine Verabredung. Glaub bloß nicht, es sei eine Gewohnheit.«
»Eine dumme Gewohnheit wäre es jedenfalls nicht«, meinte Selma Perhovens. »Was möchte mein Herzblatt denn heute zum Abendessen spachteln?«
»Filetsteak mit Gorgonzolasoße und überbackenen Kartoffeln«, sagte das Herzblatt. »Das haben wir so lange nicht mehr gehabt.«
»Es gibt Makkaroni mit Würstchen«, erklärte die Mutter.
Als sie gerade losgehen wollte, schlug das Telefon wieder zu.
Diesmal war es Baasteuwel.
»War nett gestern Abend«, sagte er. »Soll ich Bericht erstatten?«
»Ja, ich fand’s auch nett«, sagte Moreno. »Und du sollst.«
»Ich hab’s ein wenig eilig«, sagte Baasteuwel. »Ich muss mich aufs Wichtigste beschränken. Okay?«
»Okay!«, sagte Moreno.
»Dieser Arzt lügt.«
»DeHaavelaar?«
»Ja. Winnie Maas war bei ihrem Tod schwanger, aber ich glaube nicht, dass Arnold Maager der Vater war.«
Moreno versuchte, diese Information zu verdauen und Ordnung in ihren Gedanken zu schaffen.
»Ja, verdammt«, sagte sie. »Bist du sicher?«
»Absolut nicht«, sagte Baasteuwel. »Das ist nur so ein Gefühl, aber ich habe einen verdammt guten Spürsinn. Und außerdem ist er wieder da.«
»Wieder da?«
»Ja.«
»Wer?«
»Arnold Maager natürlich. Er ist heute Nachmittag ins Sidonisheim zurückgekehrt.«
Ewa Moreno verschlug es für einige Sekunden die Sprache.
»Zurückgekehrt? Du sagst, er ist einfach zurückgekehrt ...«
»Ja, sicher.«
»Aber wieso? Und wo hat er gesteckt?«
»Das verrät er nicht. Er verrät überhaupt nichts. Er liegt offenbar nur auf seinem Bett und starrt die Wand an. Was immer er unternommen haben mag, er hat fast eine Woche seine Medikamente nicht bekommen. Antidepressiva, nehme ich an. Sie machen sich ein wenig Sorgen um ihn.«
»Wie ist er denn zurückgekommen?«
»Ist einfach zur Tür hereinspaziert. Gegen fünf. Vrommel ist gerade oben und redet mit ihm.«
»Vrommel? Wäre ein anderer nicht besser gewesen?«
Baasteuwel seufzte.
»Wir können ihm doch nicht alle Aufgaben wegnehmen, ohne dass er Lunte riecht. Vegesack ist zur Kontrolle mitgefahren, und wenn Maager ohnehin autistisch ist, spielt es auch keine große Rolle.«
Moreno dachte nach. »Hoffentlich nicht«, sagte sie. »Ich werde aus der Sache nicht schlau. Sonst noch was?«
»Allerlei«, sagte Baasteuwel. »Aber ich muss zwei kleine Gespräche führen. Wie lange bis du morgen noch hier?«
Moreno zögerte. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wann sie fahren wollte. Es gab aber sicher keinen Grund, in aller Herrgottsfrühe loszuziehen, oder? Sie musste auch noch ein Geschenk für Selma Perhovens besorgen. Und für Drusilla.
»Um vier geht ein Zug. Den
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