Der Tote vom Strand - Roman
Computerfirma Xerxes in Lejnice fünfundzwanzig Grad im Schatten, und es würde noch viel wärmer werden.
Kriminalinspektorin Ewa Moreno gehörte nicht zu denen, die an diesem Morgen um sieben Uhr aufstanden und das Wetter kontrollierten. Sie wurde um neun Uhr von Drusilla Perhovens geweckt, die sie sofort über den Stand der Dinge informierte.
»Der Himmel ist knallblau, und die Sonne scheint wie bescheuert.«
»Nicht solche Wörter, Drusilla«, sagte ihre Mutter, die in der Türöffnung stand und sich die Haare bürstete.
»Manchmal muss das einfach sein«, sagte Drusilla. »Das habe ich von dir gelernt.«
Dann wandte sie sich an Moreno.
»Du kannst mit zum Strand kommen, wenn du willst«, bot sie an. »Wir nehmen noch einen Jungen mit, du brauchst mich also nicht die ganze Zeit zu unterhalten.«
Moreno überlegte zwei Sekunden lang, dann schlug sie ein.
Es war jedoch nicht ganz unproblematisch, einfach zum Strand zu gehen und Hochdruck zu konsumieren, wie sich dann herausstellte.
Drusilla hielt ihr Versprechen und beschäftigte sich die meiste Zeit mit einem jungen Mann namens Helmer — sie badeten, bauten eine Sandburg, badeten, spielten Fußball, badeten, schleckten Eis, badeten und lasen Comics. Moreno dagegen lag mal auf dem Rücken, mal auf dem Bauch, aber unabhängig von ihrer Lage fiel es ihr schwer, ihre Gedanken von dem fern zu halten, was sich vor weniger als einer Woche in diesem warmen, weichen Sand verborgen hatte.
Und was sich möglicherweise noch immer dort verbarg.
Vielleicht liege ich auf einer Leiche, dachte sie und schaute träge zur Sonne hoch. Bald kommen Drusilla und Helmer angerannt und erzählen, dass sie einen Kopf ausgebuddelt haben.
Sie sah ein, dass es an der Zeit war, diesen Ort zu verlassen. Lejnice und das Strandleben zu verlassen und zurück nach Maardam zu fahren. Der Fall Mikaela Lijphart war nicht mehr ihr Fall. Ebenso wenig wie der Fall Arnold Maager und der Fall Tim Van Rippe. Sie waren das auch nie gewesen, wenn sie es genau nahm, aber jetzt hatte sie alles immerhin in kompetente Hände übergeben. In Kohlers und Baasteuwels und — als ob das noch nicht genug wäre — in die der versammelten Lokalpresse. Selma Perhovens’ und wenn sie das richtig verstanden hatte, Redakteur Wickers. Es gab also keinen Grund für weiteres Engagement. Wirklich gar keinen. Sie hatte mehr geschafft, als irgendwer von ihr verlangen konnte, und wenn sie im August mit einigermaßen aufgeladenen Batterien an ihre Arbeit zurückkehren wollte, dann war es vermutlich höchste Zeit, sich ein wenig Ferien zu gönnen. Fahrrad fahren und Zelten in der Gegend von Sorbinowo zum Beispiel. Warme Abende am Lagerfeuer, mit in der Asche gerösteten Fischen, gutem Wein und grundlegenden Diskussionen. Nächtliche Schwimmpartien in dunklen Seen.
Und wenn die anderen wirklich an diesem von Menschen wimmelnden Strand Ausgrabungsarbeiten starten wollten, dann hatte sie wirklich keine große Lust, dabei zu sein. Überhaupt keine Lust hatte sie.
Obwohl sie natürlich genau davon träumte, als sie dann einschlief. Von Horden von grün gekleideten und schweißnassen Soldaten, die unter der Leitung eines glatzköpfigen Offiziers (der ansonsten auffällige Ähnlichkeit mit Polizeichef Vrommel hatte, nur trug er ein Hitlerbärtchen an Stelle seines sonstigen dünnen) mit Hacken und Spaten loslegten und eine Leiche nach der anderen ausgruben und nach Geschlecht und Alter getrennt zu Haufen auftürmten, die von ihr selber und Polizeianwärter Vegesack bewacht werden mussten. Baasteuwel lief mit einer Bürste umher und fegte ihnen Sand vom Körper und aus dem Gesicht, und vor Morenos entsetzten Augen waren sie dann alle der Reihe nach zu erkennen. Mikaela Lijphart. Winnie Maas. Arnold Maager (von dem sie bisher nur ein schlechtes Foto gesehen hatte, den sie aus unerfindlichen Gründen jetzt aber schneller erkannte als alle anderen). Sigrid Lijphart, Vera Sauger, Mikael Bau, Franz Lampe-Leermann ... was die beiden Letzteren in diesem Zusammenhang zu suchen hatten, war nicht leicht zu verstehen, aber sie akzeptierte es doch als Folge der Verrücktheit, die zum Leben nun einmal gehört. Erst, als Drusilla Perhovens Maud anschleppte, ihre eigene Schwester — nicht, wie sie geworden war, sondern so, wie Moreno sich von früher her an sie erinnerte —, hatte sie die Sache satt und wachte auf.
Ihr Kopf dröhnte. Man soll ja auch nicht in der Sonne einschlafen. Das war eine Regel, die ihre Mutter ihr aus
Weitere Kostenlose Bücher