Der Tote vom Strand - Roman
»Ich glaube, ich warte doch wenigstens bis morgen.«
»Bis morgen?«, fragte Mikael Bau. »Warum denn das?«
»Ich muss mir zuerst überlegen, mit wem ich sprechen will.«
Er dachte drei Sekunden nach.
»Aha«, sagte er dann. »Alles klar. Verflixt.«
»Ja«, sagte Moreno. »Verflixt.«
Sie erwachte um halb drei. Versuchte zwanzig Minuten lang einzuschlafen, dann stand sie ganz leise auf und setzte sich mit Papier und Stift an den großen runden Küchentisch.
Schrieb die Namen in der Reihenfolge auf, in der sie ihr einfielen.
Kommissar Münster
Hauptkommissar Reinhart
Inspektor Rooth
Inspektor Jung
Kommissar deBries
Polizeianwärter Krause
Das waren die Kollegen von der Kripo. Die, mit denen sie mehr oder weniger jeden Tag zusammenarbeitete.
Die sie seit sechs oder sieben Jahren in- und auswendig kannte. In- und auswendig. Könnte denn einer von ihnen ...
Sie merkte, wie sich ihr bei dieser Frage die Kehle zuschnürte. Als sie versuchte zu schlucken, wollte ihr auch das kaum gelingen.
Sie verdrängte den Gedanken und ging ihre Liste weiter durch. Dabei überlegte sie, warum sie die Dienstgrade mit aufgeschrieben hatte. Konnten die denn in einem solchen Fall eine Rolle spielen?
Kommissar le Houde
Assistent Bollmert
Und dann die Wachtmeister. Die nur in lockerer Verbindung zur Kripo standen, aber trotzdem.
Joensu
Kellermann
Paretsky
Klempje
Sie ließ sich zurücksinken und betrachtete ihre Liste. Zwölf Namen insgesamt. Weitere fielen ihr nicht ein. Weitere gab es nicht. Heinemann war in Rente gegangen. Van Veeteren hatte aufgehört.
Wer, dachte sie. Wer könnte denn...
Die Frage hing einige Minuten lang wie eine schwarze Wolke über ihrem Bewusstsein. Dann nahm sie sich die nächste vor.
Wen? Wen soll ich anrufen?
Zu welchem von diesen Männern habe ich das größte Vertrauen?
Während sie noch versuchte, dieses Problem zu klären, schlug die Uhr zuerst Viertel nach drei und dann halb vier, und ihr Unwohlsein wurde immer größer.
12
13. Juli 1999
»Der hat zu tun«, sagte Vegesack zum dritten Mal. »Verstehen Sie denn nicht? Entweder setzen Sie sich und warten, oder Sie sagen mir, worum es geht.«
Die Frau schüttelte gereizt den Kopf und fuchtelte mit den Händen herum. Holte Luft, um noch einmal eine Unterredung mit dem Polizeichef zu fordern — so sah es zumindest aus —, überlegte sich die Sache dann aber anders und atmete stattdessen laut hörbar durch die Zähne aus.
Sicher knapp über vierzig, schätzte Vegesack. Kräftig, aber nicht dick. Irgendwie gesund ... kurze dunkelrote Haare, die mit Sicherheit gefärbt sind.
Nervös.
Total nervös. Unmöglich, sie auch nur zum Sitzen zu bringen. Sie lief hin und her wie ein Dackel, der dringend pissen muss. Polizeianwärter Vegesack hatte als Kind einen Dackel gehabt, deshalb wusste er, wovon er redete.
»Wenn Sie mir wenigstens erklären könnten, was Sie auf dem Herzen haben?«, fragte er. »Wie Sie zum Beispiel heißen.«
Sie blieb stehen. Stemmte die Fäuste in die Seiten und musterte ihn abschätzig. Automatisch hob er seine linke Hand und überprüfte seinen Schlipsknoten.
»Sigrid Lijphart«, sagte sie. »Ich heiße Sigrid Lijphart, und ich suche meine Tochter Mikaela. Die ist seit Samstag verschwunden.«
Vegesack machte Notizen.
»Wohnen Sie hier in der Stadt? Ihr Name ist mir nicht...« »Nein«, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort. »Ich wohne nicht hier. Aber vor sechzehn Jahren habe ich hier gewohnt. Der Polizeichef weiß, warum ich damals umziehen musste. Und deshalb möchte ich mit ihm sprechen, statt eine Menge Dinge erklären zu müssen, an die ich kaum denken mag... o verdammt!«
Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken, und er sah plötzlich, dass ihr Tränen in den Augen standen.
»Ach du meine Güte«, sagte er unschlüssig. »Ich meine... Polizeichef Vrommel ist wirklich nicht im Hause...« Er warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr. »Er sitzt mit einer Inspektorin aus Maardam im Café Vronski. Hrrm, ja. Kann jeden Moment wieder zurück sein ... ich glaube, wir sollten einfach warten. Falls Sie mir nicht doch alles erzählen mögen, meine ich. Kann ich Ihnen etwas zu trinken holen?«
Sigrid Lijphart schüttelte den Kopf. Zog ein Taschentuch aus der Handtasche und putzte sich die Nase.
»Wie alt?«, fragte Vegesack. »Ihre Tochter, meine ich.«
Die Frau schien zu überlegen, ob sie antworten sollte oder nicht. Dann zuckte sie mit den Achseln und seufzte tief.
»Achtzehn. Am Freitag ist
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