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Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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tatenlos dabei, doch dann rutschte er endlich näher und legte ihr den Arm um die Schultern.
    Das tat gut, und für eine Weile ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
    Wer weint, braucht weder zu sprechen noch zu denken, hatte ihre Mutter einmal gesagt, und sie hatte nicht ganz Unrecht. Manchmal war sie gar nicht so dumm, ihre hoffnungslose Mutter, aber meistens war sie eben, wie sie war.
    Die Kirchturmuhr von Waldeskirke, wo sie zwei Jahre zuvor konfirmiert worden war, schlug dreimal. Viertel vor eins. Er zündete zwei Zigaretten an und gab ihr die eine. Zog eine Dose Bier aus der Tasche und öffnete sie.
    Trank zuerst zweimal selber, dann ließ er sie kosten. Sie trank und fand, dass der Schnaps viel besser geschmeckt hatte. Bier schenkte einfach keine Wärme. Schnaps und Wein waren besser, das hatte sie immer schon gedacht. Und sie musste davon auch nicht so schnell pissen. Sie schwiegen einige Minuten, dann sagte er:
    »Ich habe eine Idee.«
    Ihr fiel wieder ein, dass er das schon vor zwei Stunden behauptet hatte. Unten am Strand. Sie fand es seltsam, dass er die ganze Zeit eine Idee gehabt und nicht darüber gesprochen haben sollte.
    Aber vielleicht war es ja auch eine andere Idee.
    »Was denn?«, fragte sie.
    »Wir reden mit ihm«, sagte er.
    Sie begriff nicht, was er meinte.
    »Jetzt«, erklärte er. »Du rufst ihn an, und dann reden wir mit ihm. Und dann sehen wir weiter.«
    Er kippte den Rest der Bierdose auf den Boden und öffnete noch eine.
    »Wie viele hast du?«, fragte sie.
    »Nur noch eine. Also?«

    Sie dachte nach. Merkte, dass sie pinkeln musste. Und wie.
    »Wie?«, fragte sie.
    »Dahinten gibt es ein Telefon.«
    Er zeigte auf die Feuerwache.
    »Na?«
    Sie nickte.
    »Na gut. Muss nur noch schnell pinkeln.«
     
    Die Eisenbahnbrücke?, dachte sie, als sie in der engen Zelle stand und die Nummer wählte. Warum sollen wir uns gerade da oben, auf der Eisenbahnbrücke, treffen?
    Eine Antwort auf diese Frage fiel ihr nicht ein, und dann hörte sie schon das Klingelzeichen und wie sich am anderen Ende der Leitung jemand meldete. Sie holte tief Atem und versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen.
    Hoffentlich ist es nicht seine Frau, dachte sie.
    Es war seine Frau.

14
    13. Juli 1999
     
    Sigrid Lijphart bekam im Kongershuus ein Zimmer, weil eine Stornierung einlief, als sie noch in der Rezeption stand und nicht recht weiter wusste. Es war Urlaubszeit, und wie immer waren die Hotels in der Umgebung von Lejnice überfüllt. Für einen schwachen Moment hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich an eine Freundin von früher zu wenden — aus ihrem vorigen Leben, vor sechzehn Jahren und noch länger —, aber diese Idee stieß ihr fast sofort sauer auf.
    Obwohl sie wirklich die Auswahl gehabt hätte.
    Es gab genug alte Bekannte, die sie bei sich aufgenommen hätten. Um ihre alte Teilnahme zum Ausdruck zu bringen und über gewisse Dinge allerlei zu erfahren, allein deshalb.
    Aber vorbei war vorbei war vorbei. Sie hatte diese Menschen und diese Beziehungen — jede und alle davon — aufgegeben, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, und sie hatte nie das Gefühl gehabt, sie zu vermissen. Also konnte es nur ein vager Impuls gewesen sein, das war klar. Irgendeinen Kontakt aufzunehmen. Nie im Leben würde sie eine von diesen aufgegebenen Beziehungen aktivieren, unter normalen Umständen nicht und jetzt erst recht nicht. Das wäre ihr vorgekommen wie ... wie auf den Gestank von etwas zu stoßen, das sechzehn Jahre lang unter einem Deckel vor sich hingefault war. O verdammt.
    Lieber würde ich am Strand schlafen, dachte sie und betrat den Fahrstuhl. Wie gut, dass ich doch noch ein Zimmer bekommen habe.

    Es lag im fünften Stock. Hatte Balkon und einen ziemlich großartigen Blick nach Westen und Südwesten. Über die Dünenlandschaft und die lange geschwungene Küste im Süden. Bis zum Leuchtturm an Gordons Punkt.
    Es kostete zweihundertvierzig Gulden pro Nacht, aber sie wollte ja nur einen Tag bleiben, da kam es nicht so darauf an.
    Sie rief Vrommel an und teilte ihm mit, wo sie zu erreichen war. Dann duschte sie. Bestellte bei der Rezeption eine Kanne Kaffee und setzte sich damit auf den Balkon.
    Es war zwei Uhr. Die Sonne kam und ging. Oder genauer gesagt, die Wolken kamen und gingen, aber es war doch bald so warm, dass sie auch nackt hätte dort sitzen können. Außer von Hubschraubern und Möwen konnte sie nicht gesehen werden. Trotzdem behielt sie Unterhose und BH an.
    Den breitkrempigen Strohhut und die

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