Der Tote vom Strand - Roman
nicht weniger.«
»Gut«, sagte Moreno. »Auch du bist in meinen Augen vermutlich nicht ganz ohne Anziehungskraft. Schade, dass du an eine so hart gesottene Person geraten bist wie mich. Aber nicht aufgeben. Wie ist es gelaufen?«
Mikael Bau setzte sich auf und lehnte sich gegen den Baumstamm. Überließ ihr ritterlich das letzte Zwölftel des Eises und wischte sich die Hände im Gras ab.
»Nicht schlecht«, sagte er. »Nicht, wenn man bedenkt, dass ich in dieser Kunst nicht bewandert bin. Ich habe schon die Adresse von Frau Maas ausfindig gemacht ... sie wohnt noch immer hier in der Stadt. In einer Wohnung im Goopsweg. Mitten im Zentrum, so ungefähr. Und die Übernachtungsfrage ist auch geklärt.«
»Die Übernachtungsfrage?«, fragte Moreno. »Du meinst, dass Mikaela Lijphart doch in der Stadt übernachtet hat?«
»Ja, in der Jugendherberge, wie wir angenommen hatten. Draußen bei Missenraade. Aber leider nur von Samstag auf Sonntag. Hat gegen zehn Uhr am Sonntagvormittag ihren Rucksack gepackt und ist in die Stadt gefahren ... und da endet bisher ihre Spur. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die in der Jugendherberge an der Rezeption sitzt. Sie kann sich sehr gut an Mikaela erinnern, sagt sie, aber sie hat keine Ahnung, wo sie hinwollte. Sie sind den Sommer über immer voll belegt ... aber sie glaubte sich doch daran zu erinnern, dass Mikaela schon am
Samstagabend einen Ausflug nach Lejnice unternommen hat. Und dann ist sie zurückgekommen ... tja, ich weiß ja nicht, wohin uns das alles führt. Nirgendwohin, nehme ich an?«
»Das weiß man nie«, sagte Moreno und seufzte. »Das ist ja gerade das Problem. Und der Charme des Ganzen vielleicht ... ein ziemlich düsterer Charme natürlich, aber so ist es nun mal. Eine Menge vager Fäden, die in die Finsternis führen ... das ist wohl noch so ein Zitat des Kommissars, fürchte ich ... und dann hängt plötzlich irgendetwas mit irgendetwas anderem zusammen, und danach kann es wirklich ganz schnell gehen ... hm, was rede ich hier eigentlich für einen Unsinn? Muss an der Hitze liegen!«
Mikael Bau musterte sie interessiert. »Dir gefällt es«, sagte er. »Das hat nichts mit der Hitze zu tun ... du brauchst dich nicht dafür zu schämen, dass du deine Arbeit liebst.«
»Was heißt schon lieben«, sagte Moreno. »Man muss einfach versuchen, alles aus einem erträglichen Blickwinkel zu sehen. Oder nicht? Im Sozialwesen herrscht doch sicher auch nicht die pure Idylle?«
Mikael Bau kratzte sich zwischen den Bartstoppeln, die inzwischen drei oder vier Tage alt geworden waren.
»Man muss optimistisch sein, obwohl man im Grunde pessimistisch ist?«, fragte er. »Ja, das ist kein dummes Prinzip. Weißt du übrigens, in welcher Branche es die größten Humoristen gibt? Bei den Totengräbern. Bei den Totengräbern und den Obduzenten. Das muss ja auch einen Grund haben. Na, egal, willst du den ganzen Urlaub hindurch die Privatdetektivin spielen, oder legen wir uns eine Weile an den Strand?«
»Strand«, sagte Ewa Moreno. »Mindestens zwei Stunden. Ich würde nur gern noch ein paar Worte mit Vegesack wechseln, ehe ich aufgebe, aber das hat keine Eile. Auch wenn er im Grunde Recht hat, Vrommel, meine ich. Vielleicht ist sie nur durchgebrannt. Wir werden’s ja sehen, wenn sie morgen die Vermisstenmeldung herausgeben. Es ist nicht so leicht, zu verschwinden, wie viele glauben.«
Als sie zum Meer fuhren, kam ihr eine andere Frage in den Sinn.
Zum Thema Kinderkriegen. Und ganz bestimmt zum Thema Optimismus kontra Pessimismus.
Wäre es nicht besser, keine zu haben — sich also keine Kinder zuzulegen —, als ertragen zu müssen, dass sie eines schönen Tages verschwanden?
Oder unter einem Viadukt auf einem Bahngleis endeten?
Noch eine Frage ohne Antwort, und sie wollte nicht wissen, was Mikael Bau dazu dachte.
17
»Kaffee?«, fragte Vrommel.
»Nein, danke«, sagte Sigrid Lijphart. »Hab eben erst welchen getrunken.«
Polizeianwärter Vegesack wollte schon sagen, dass ihm ein Kaffee gut tun würde, beherrschte sich dann aber.
»Na?«, fragte Vrommel und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Arnold Maager? Wie ist es gelaufen?«
Vegesack räusperte sich und blätterte rasch in seinem Notizblock.
»Hat nicht viel ergeben«, gab er dann zu. »Ziemlich ... verschlossener Typ, dieser Herr Maager.«
»Verschlossen?«
»In sich gekehrt, könnte man sagen«, erklärte Vegesack. »Ja, natürlich ist er ja auch krank, es war also nicht leicht, etwas
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