Der Tote vom Strand - Roman
wir nach Wimsbaden fahren ... zum Musikfestival ... aber er ist nicht gekommen. Ich habe seither immer wieder bei ihm angerufen, aber er hat sich nie gemeldet.«
Ihre Stimme zitterte, und Vegesack wusste, dass sie unter ihrer elastischen Oberfläche mit den Tränen kämpfte.
»Tim Van Rippe? Haben Sie einen besonderen Grund zu der Annahme, dass es sich um ihn handeln könnte? Abgesehen davon, dass er nicht ans Telefon geht?«
Damita Fuchsbein holte tief Atem und strich ihre Frisur gerade.
»Ich habe noch mit anderen gesprochen, die ebenfalls versucht haben, ihn zu erreichen. Aber offenbar hat ihn seit Sonntag niemand mehr gesehen ... seit dem vorigen Sonntag, meine ich.«
»Hat er Familie?«
»Nein.«
»Engere Verwandte, wissen Sie etwas darüber?«
»Er hat einen Bruder in Aarlach, das weiß ich. Sein Vater ist tot, aber seine Mutter lebt noch. Aber sie wohnt auch nicht hier in der Stadt. Ich glaube, sie hat wieder geheiratet und wohnt in Karpatz.«
Vegesack machte sich Notizen.
»Hm«, sagte er. »Wir werden wohl hinfahren und einen Blick auf ihn werfen müssen. Fühlen Sie sich stark genug dafür? Es kann ein bisschen unangenehm sein.«
Was für eine Untertreibung, dachte er.
»Wo befindet sich ... der Körper?«
»Wallburg. Gerichtsmedizin. Ich fahre Sie hin, wir können in anderthalb Stunden wieder zurück sein.«
Damita Fuchsbein schien einen Moment zu zögern, dann riss sie sich zusammen und faltete die Hände auf ihrem Schoß.
»Okay. Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig.«
Es war Tim Van Rippe.
Zumindest, wenn sie Damita Fuchsbein glauben wollten, und es gab keinen Grund, ihre tränentriefende Identifizierung anzuzweifeln. Zusammen mit dem Obduzenten, einem ungeheuer übergewichtigen Dr. Goormann, und einer Sanitäterin konnte Vegesack sich ausgiebig der Aufgabe widmen, die verzweifelte Frau zu trösten, und er fragte sich schon, ob sie dem Toten nicht doch etwas näher gestanden hatte, als sie hatte durchblicken lassen.
Vielleicht, vielleicht auch nicht, dachte Vegesack. Das würde sich schon noch herausstellen. Während sie in Goormanns stickigem Büro saßen und Papiertaschentücher weiterreichten, schloss sich ihnen auch noch Kriminalkommissar Kohler an, einer der beiden Polizeibeamten aus Wallburg, die nach dem Leichenfund am Strand Vrommel unterstellt worden waren. Er war ein zurückhaltender Mann von Mitte Fünfzig mit schütteren Haaren, der auf Vegesack sofort einen positiven Eindruck
machte. Er erklärte sich auch dazu bereit, Van Rippes Angehörige zu informieren — den Bruder in Aarlach und die Mutter in Karpatz, falls sie auch an diese Auskünfte glauben wollten, die Damita Fuchsbein geliefert hatte, als sie noch sprechen konnte.
Aber auch hier gab es wohl keinen Grund zur Skepsis.
Vegesack selber kümmerte sich weiterhin um Frau Fuchsbein. Er führte sie aus dem Besuchszimmer des Todes und lud sie in einem der Cafés am Marktplatz zu einem Kaffee und einem Calvados ein, ehe sie sich ins Auto setzten, um nach Lejnice zurückzukehren.
Dort fuhr er sie zu ihrer Wohnung im Goopsweg und versprach, sie gegen Abend anzurufen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Als er schließlich wieder die Wache betrat, war es bereits zwanzig vor elf, und Polizeichef Vrommel hatte soeben eine kleinere Pressekonferenz eröffnet, bei der es um den makabren Strandfund des Vortags gehen sollte. Vegesack ließ sich hinter einem Dutzend Journalisten auf einen freien Stuhl sinken und hörte zu.
Doch, sie arbeiteten auf Hochtouren.
Ja, sie hatten allen Grund, ein Verbrechen zu vermuten. Es sei schwer, auf diese Weise eines natürlichen Todes zu sterben und sich dann selber im Strand einzugraben.
Ja, ihre Ermittlungen gingen in verschiedene Richtungen, denn noch gebe es keine heiße Spur. Aus Wallburg sei bereits Verstärkung geschickt worden.
Ja, die Ermittlungen würden natürlich vom Polizeichef persönlich geleitet, sie hätten noch keine Verdächtigen und warteten noch auf die Ergebnisse bestimmter technischer Untersuchungen.
Nein, der Tote sei noch nicht identifiziert.
Ich hätte ihn aus Wallburg anrufen sollen, dachte Vegesack.
Ewa Moreno wurde Viertel vor sieben von der Sonne geweckt. Sie hatte vor dem Schlafengehen zwar das altmodische dunkelblaue
Rollo heruntergezogen, aber irgendwann im Laufe der Nacht war das wohl müde geworden und hatte sich wieder aufgerollt. In aller Diskretion offenbar, da Moreno dabei nicht wach geworden war.
Sie setzte sich im Bett auf
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