Der Totengräber (Horror-Roman) (German Edition)
nahm immer zwei Stufen auf einmal. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, gleichzeitig fröstelte ihn. Eine eigenartige Kälte erfasste ihn und durchdrang ihn auf eine Weise, die er bisher nicht gekannt hatte. Sie fuhr ihm bis ins Mark. Der Hauch des Totenreiches , dachte er, das muss es sein . Er stürzte in sein Zimmer, blickte sich um, denn für einen Moment lang hatte er geglaubt, dass das schabende Geräusch von dort gekommen war. Wie angewurzelt blieb er stehen, achtete auf die kleinste Veränderung, aber da war nichts, was ihm nicht vertraut vorgekommen wäre.
Alles war an seinem Ort.
Brad rannte in den Nachbarraum. Er stand noch leer. Mom hatte ihn dafür vorgesehen, zunächst einmal ein Kistenlager zu bleiben. Ein Großteil der Sachen stand dort, die im Moment - und wohl auch auf absehbare Zeit - nicht ausgepackt werden konnten. Es war unglaublich, aber die Kisten hatten bereits in der kurzen Zeit, in der sie hier standen, Staub angesetzt. Staub, in den Worte geschrieben waren.
Brad versuchte sie zu lesen. Nur eines war klar erkennbar: Brad stand dort, drei Ausrufezeichen wie ein Hilfeschrei. Jetzt polterte es oben auf dem Dachboden.
Dort war Brad noch nie gewesen. Bei der Besichtigung des Hauses mit Mom und dem Reverend hatte er darauf verzichtet die Leiter hinaufzuklettern. Dort oben hatte er nicht mehr erwartet als irgendeine muffig riechende Rumpelkammer.
Erneut polterte es dort jetzt, so als ob eine schwere Kiste umgestürzt worden wäre. Schwere Schritte stapften über die knarrenden Bohlen. Und dann murmelte plötzlich eine dumpf klingende Männerstimme unverständliche Worte. Worte, deren Tonfall immer aufgeregter wurde.
Eine Luke führte zum Dachboden. Brad zog sie herunter und fuhr die dazugehörige Leiter aus. Wieder rumpelte es dort oben. Irgendeine Kiste oder ein Möbelstück fiel geräuschvoll um. Mit schnellen entschlossenen Bewegungen nahm Brad immer mehrere Sprossen der Leiter auf einmal. Er streckte den Kopf durch die Luke. Halbdunkel herrschte hier oben. Licht fiel nur durch zwei kleine Dachfenster, aber da war noch etwas anderes was leuchtete. Brad glaubte im ersten Augenblick, seinen Augen nicht zu trauen. Die leuchtende durchscheinende Gestalt seines Vaters stand da mitten im Raum.
„Dad!“, stieß Brad hervor.
Brad stieg jetzt vollends empor und stand der transparenten Gestalt gegenüber. „Dad, ich kann dich sehen.“ Erneut meldete sich die Gedankenstimme in Brads Hinterkopf. Sie nannte seinen Namen, sprach ihn immer wieder aus. „Brad, ich bin hier.“ Als sie dann fort fuhr, waren die Worte nicht mehr zu verstehen. Brad hatte den Eindruck, dass sie widerhallten und die einzelnen Laute miteinander verschwammen, so dass daraus ein unverständlicher akustischer Brei wurde. Die geisterhafte Erscheinung streckte die Arme aus. Die Lippen bewegten sich, so als wollte Dad etwas sagen. Verzweiflung spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Brad hatte jetzt jede Furcht vor dieser Erscheinung verloren. Er machte zwei Schritte auf die Gestalt zu, streckte ebenfalls seine Arme aus. Aber die Erscheinung war nicht zu greifen. Brad bemerkte, dass sie immer blasser wurde. Schließlich löste sich die Erscheinung innerhalb weniger Augenblicke vollkommen auf. Nichts blieb von ihr zurück.
„Dad, komm zurück!“, forderte Brad. Auch wenn er
Geistererscheinungen und anderen übersinnlichen Dingen immer sehr skeptisch gegenüber gestanden hatte - Brad hatte gesehen, dass es so etwas offenbar doch gab. Anders konnte er sich das, was geschehen war, jedenfalls nicht erklären. Alles passt zusammen, dachte er, der Totengräber, seine Beschwörungsrituale und die unheimlichen Erscheinungen, denen ich in diesem Haus begegnet bin. Brad spürte, wie eine Gänsehaut seinen gesamten Körper überzog und das, obwohl sich unter dem Dach die warme Luft staute und es eigentlich eher stickig und warm war.
Dann bemerkte er, dass hier in den Staub auf dem Boden auch sein Name geschrieben worden war. Brad .
Er will mir unbedingt etwas mitteilen, dachte Brad. Dem Gesichtsausdruck und der Gestik dieses Geistes nach zu urteilen, war sein Anliegen sehr dringend. Fast so, als möchte er mich vor etwas warnen, durchfuhr es Brad. Laut sagte er: „Dad, komm zurück, ich bin hier.“ Es kam ihm so lächerlich vor, was er tat und trotzdem war ihm einfach danach.
Mit seinem toten Dad zu sprechen … Zum ersten Mal war er sich dabei vollkommen sicher, dass Dad ihn auch hörte. Er ist hier - hier irgendwo
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