Der Totengräber (Horror-Roman) (German Edition)
Brad.
„An der alten Eiche“, sagte sie. „Das ist auf der anderen Seite des Friedhofs - nicht da, wo euer Haus ist.“
„Weshalb dort?“
„Weil man von dort aus am besten auf den Friedhof gelangen kann, ohne dass man bemerkt wird.“
Brad lächelte. „Ich sehe, du hast schon Erfahrung damit, dem Totengräber hinterher zu spionieren.“
„Kann man so sehen.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Brad hob die Augenbrauen. „Na, dann ist es ja gut, dass wenigstens eine von uns eine richtig professionelle Geisterjägerin ist.“
Eigentlich hatte Brad gedacht, sie mit einem coolen Spruch etwas aufheitern zu können, aber im Moment war sie dafür wohl einfach nicht in der richtigen Stimmung.
Ihr Lächeln wirkte verhalten und matt.
„Okay, aber wir sollten früh genug dort sein, spätestens um elf, würde ich sagen.“
„In Ordnung.“
*
In diesem Augenblick waren an der Tür Geräusche zu hören. Jemand drehte einen Schlüssel herum.
„Das ist bestimmt meine Mom“, meinte Lana. „Sie kommt von der Arbeit. Mein Dad ist immer etwas später dran.“
Brad blickte auf die Uhr. „Ich wollte sowieso gerade gehen. Wir sehen uns ja auch später. Kann ich mich auf dich verlassen?“
„Ja“, flüsterte sie, „und außerdem …“
„Außerdem was?“, fragte Brad.
„Es ist schön mit jemandem darüber reden zu können.“
„Ja, das finde ich auch“, nickte Brad.
Brad und Lana begegneten Mrs. McKee im Flur. „Oh, du hast Besuch, Lana?“
„Ja, Mom.“
„Du hättest mir auch sagen können, dass du jemanden eingeladen hast.“
„Mom, das ist Brad Walker, wir gehen zusammen zur Schule. Und er ist vor kurzem mit seiner Mom in das alte Haus am Friedhof eingezogen.“
„Ah“, sagte Mrs. McKee. Sie wirkte auf einmal etwas verlegen.
„Das, was mit deinem Dad passiert ist, tut mir leid, Brad“, sagte sie.
„Ich habe davon gehört.“
Brad saß ein Kloß im Hals. Er war unfähig, etwas zu erwidern. Allein die Erwähnung seines Vaters machte ihn im wahrsten Sinn des Wortes sprachlos. Er schluckte. Irgendwann wird das vielleicht aufhören , dachte er, so dass ich wieder normal darüber reden kann.
„Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme“, brachte Brad doch noch heraus und hatte das Gefühl dabei rot zu werden.
Lana brachte ihn zur Tür. „Bye, Brad, wir sehen uns.“
„Wir sehen uns“, nickte er.
Während Brad die Einfahrt entlangging, hörte er noch Mrs McKee sagen: „Na, das ist ja endlich mal ein Junge, der nicht wie ein Vampir angemalt ist und irgendwelche Piercings in der Nase trägt.“
„Mom, du bist unmöglich.“
Dann ging die Tür zu.
Auf dem Rückweg schlenderte Brad am Friedhof vorbei. Von dem Totengräber war nirgends etwas zu sehen. Wolken waren aufgezogen und heftiger Wind fegte durch die Wipfel der Bäume und ließ es rascheln.
Brad blieb stehen. Plötzlich hatte er das Gefühl, als ob eine Stimme ihn angesprochen hätte - eine Stimme, die ihm sehr bekannt vorkam, sehr vertraut war und von der er doch nicht hätte sagen können, wem sie gehörte.
Er drehte sich um, doch da war niemand.
Jetzt fang nicht an vollkommen durchzudrehen , dachte er. Er wollte eigentlich weitergehen, zurück zu dem Haus, in dem er nun zusammen mit seiner Mutter lebte und das er selbst für sich persönlich bereits das Geisterhaus nannte. Kein Ort, den man ein Zuhause nennen konnte.
Irgendetwas hielt ihn zurück, er konnte nicht sagen, was es war
… Ein Drang, eine Kraft - irgendeine Macht, die aus ihm selbst heraus zu kommen schien. Plötzlich bewegten sich seine Beine wie automatisch. Anstatt nach Hause ging er auf den Friedhof. Wie selbstverständlich erreichte er das Grab seines Vaters und blieb davor stehen. Unwillkürlich faltete er die Hände.
Was tue ich hier eigentlich?, fragte er sich. Es hatte Augenblicke gegeben, in denen er das Bedürfnis gehabt hatte, mit seinem toten Vater zu sprechen … aber im Moment war das ganz und gar nicht der Fall. Im Moment hatte ihn eigentlich der Gedanke vollkommen in Beschlag genommen, was es wohl mit dem Totengräber auf sich hatte. Auch das Gespräch mit Lana hatte ihn aufgewühlt. Vielleicht bekommen wir in der nächsten Nacht ja mehr heraus, ging es ihm durch den Kopf.
6. Kapitel: Stimmen aus dem Totenreich
Als Brad zu Hause ankam, war Mom noch nicht da. Zumindest stand der Wagen nicht in der Einfahrt. Wahrscheinlich musste sie in der Kanzlei wieder ein paar Überstunden machen. Das wiederum bedeutete, dass sie nachher,
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