Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
abzulösen.
Eldons Reaktion hatte ihm zu denken gegeben. Er hatte das alles entschieden zu gelassen hingenommen. Als Max in sein Büro gegangen war, hatte er sich auf einen Zornesausbruch gefasst gemacht oder zumindest eine Gardinenpredigt zum Thema private Ermittlungen während der Arbeitszeit; dazu ausführliches Herumreiten auf den Stichwörtern Vertrauen und Loyalität und eine Wagenladung Sülze über all die Jahre, die sie sich nun schon kannten, wie lange sie schon befreundet waren, was sie nicht alles zusammen durchgemacht hatten. Aber Eldon hatte nicht einmal besonders überrascht gewirkt. Hatte sich nicht einmal über die Sache mit den Zombies lustig gemacht. Hatte er Max die Erklärungen und die Entschuldigung abgekauft, die er ihm aufgetischt hatte? Nein, undenkbar. Eldon durchschaute jede Lügengeschichte. Er war selbst ein Meister im Lügen.
War Eldon tatsächlich der Kaiser? Joe hielt das für möglich. Der Gedanke war auch Max durch den Kopf gegangen, aber er hatte ihn sofort wieder verdrängt. Man konnte Eldon vieles anlasten, aber ein Krimineller war er nicht. Max kannte ihn gut genug, sich da sicher zu sein. Eldon hasste Kriminelle, allen voran die Kokaindealer. Sie waren es, die diese Stadt kaputtmachten. Unmöglich.
Er starrte in die Tasse mit dem dünnen Kaffee und den feinen Fettschlieren, die darauf schwammen.
Das Telefon klingelte. Er riss den Hörer hoch.
»Miami Task Force. Detective Sergeant Mingus am Apparat.«
»Max?«
Sandra.
»Hey.« Er lächelte.
»Hör gut zu …« Irgendetwas war passiert. Ihre Stimme zitterte. »Ich bin … ich bin entführt worden.« Sie klang, als könnte sie es selbst nicht fassen. »Geh in die Telefonzelle gegenüber dem … gegenüber dem Gericht. Sofort. Warte da auf einen Anruf.«
»Sandra? Warte! Geht es dir …«
Die Leitung war tot, bevor er sie fragen konnte.
Fünf Minuten später stand er neben der Telefonzelle. Er spürte, dass er beobachtet wurde, aber er wusste nicht, von wo. Er beobachtete die Straße, hielt nach einem parkenden Wagen Ausschau und nach Leuten, die irgendwie verdächtig aussahen, aber er war so durcheinander, dass er sich nicht mehr auf seine Instinkte verlassen konnte.
Wie zum Teufel hatten sie Sandra gekriegt? Sie hatte ihm versprochen, dass sie die Stadt verlassen würde, dass sie irgendwo hingehen würde, wo sie sicher war. Womöglich hatten sie schon die ganze Zeit ihre Wohnung observiert. Was bedeutete, dass sie ihm gefolgt waren.
Wie lange schon?
Hatten sie ihr etwas angetan?
Das Telefon klingelte.
»Sandra …?«
Ein Mann war dran: tiefe Stimme, französischer Akzent, gleichförmiger Tonfall.
Boukman?
»Sie gehen jeden Morgen zum Strand und rauchen eine Zigarette. Seien Sie heute um Mitternacht an der gleichen Stelle. Und kommen Sie allein. Wenn nicht, werden Sie sie nicht mehr lebend wiedersehen.«
»Wenn ihr Sandra etwas antut, ich schwöre, ich werde …«
Der Mann legte auf.
61
Zwei Stunden vor der Zeit war Max am Strand. Er setzte sich an seine übliche Stelle und steckte sich eine Zigarette an. Die Nacht war klar. Die Sterne funkelten wie ein Sprühnebel aus Strasssteinen, und die drückende Hitze wurde von der kühlen Brise gemildert, die vom Meer kam. Die Luft schmeckte nach Salz und roch nach jenen seltenen Tagen, an denen er nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als im Sand zu liegen und sich vom Rauschen der Wellen in einen lockeren Halbschlaf lullen zu lassen.
Er schaute aufs Meer hinaus. Die Kämme der größeren Wellen erinnerten ihn an tote Möwen auf einem Ölteppich. Zu seiner Linken konnte er die Umrisse der Hotels auf der Collins Avenue ausmachen, von Neonlicht umkränzt, alle Fenster erleuchtet, alle Zimmer von Leben erfüllt. Zu seiner Rechten saßen mehrere Leute um ein Lagerfeuer, sie sangen und lachten, die Flammen in ihrer Mitte bildeten ein rot glühendes Tipi. Einer spielte Gitarre. Sie klangen sehr jung, wahrscheinlich waren sie es auch. Kein Mensch mit halbwegs klarem Verstand und guten Absichten hielt sich nachts hier auf: Er wünschte sie weg von hier, doch zugleich war er froh über ihre Gesellschaft und ihre Unschuld.
Er hatte beide Waffen dabei, an der Hüfte und am Fußknöchel, außerdem zwei zusätzliche Magazine, dabei bezweifelte er, dass er die brauchen würde. Boukman wollte ihn noch nicht tot sehen. Er wollte ihn leiden sehen.
Nach jenem letzten Telefonat war der Tag eine einzige, nicht enden wollende Tortur gewesen. Er hatte niemandem von Sandras
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