Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Sängerin oder Model, in dieser Reihenfolge. Und so gab er sich entweder als Talentscout, Agent oder Fotograf aus, niemals als zu große Nummer, als Regisseur oder Produzent, denn das wäre dann doch zu schön, um wahr zu sein, und würde selbst die dümmsten Kühe misstrauisch machen.
Bei Corrina hatte er das Eis bereits gebrochen. Er war schon zweimal mit ihr ausgegangen, hatte sie zweimal bis vor die Haustür gebracht. Beim letzten Mal hatte er ihr auf der Treppe vor der heruntergekommenen Hütte, in der sie ein Zimmer gemietet hatte, einen Gutenachtkuss gegeben. So, wie sie küsste, hatte er sofort gewusst, dass sie keine Jungfrau mehr war. Sie hatte ihm die Zunge in den Mund gesteckt. In dem Moment hätte er auch weitergehen können mit ihr, aber seit dem ersten Monat seines ersten Jahres in dieser Branche hatte er keine Zielkarte mehr gevögelt. Es war ein Fehler gewesen damals. Die Nähe hatte ihn durcheinandergebracht, hatte es ihm schwer gemacht, die Nutte zur Raison zu bringen, wenn sie aus der Reihe tanzte. Er hatte etwas mit ihr geteilt, hatte sich zerbrechlich und ungeschützt gezeigt, war ihr ganz nah gewesen, und sie hatte das gegen ihn verwenden wollen. Weit war sie damit nicht gekommen, aber damals hatte er sich geschworen, nie wieder eine Nutte so nah an sich heranzulassen. Den Part überließ er Sam.
Heute Abend würde Corrina Sam kennen lernen, auch wenn sie noch nichts von ihrem Glück wusste.
Carmine sah auf die Uhr. Schon zehn.
Der Bruder im Tenniskostüm bezahlte und ging. In dem Aufzug sah er aus wie einer von den Village People. Carmine sah ihm nach, wie er zur Tür hinausging, dann langsam über den Parkplatz schlenderte, wie er vor dem noblen Mercedes Cabrio stehenblieb und zum Diner zurückschaute, um zu sehen, wem der gehörte, und wie er wahrscheinlich richtig vermutete, dass es der stylische Bruder mit den grünen Augen war, den er beim Hinausgehen angesehen hatte. Carmine hatte damit gerechnet, dass der Bruder in den schlammbraunen Camaro einsteigen würde, der neben seinem Wagen parkte, dabei passte der gar nicht so richtig zu ihm. Er traute ihm mehr Klasse zu, hielt ihn für einen Porsche- oder Ferrari-Mann – wenn er denn die Kohle hatte.
Ein paar Minuten später kam der Weiße in der Lederjacke an den Tresen, um zu bezahlen. Von Nahem sah der echt fertig aus. Bleich, unrasiert, verschwitzt und schlecht gelaunt, Tränensäcke unter den blutunterlaufenen blauen Augen. Carmine spürte, wie der Kerl ihn von der Seite musterte, den edlen Anzug und die Schuhe. Ein ziemlich intensives Glotzen war das, wie ein Typ, der es auf Streit anlegt und einen so lange anstarrt, bis man so angenervt ist, dass man ihn fragt, was los ist.
Der Mann gab Corrina einen Zwanziger und trat einen Schritt näher an ihn heran.
Er stank, als hätte er in einer Schnapsbrennerei ein Stinktier gevögelt: übelster Mundgeruch, Alkohol, Zigaretten und alter Schweiß.
Der Kerl starrte ihn weiter an, bis er sich ganz klein vorkam, als würde er unter einem Mikroskop beobachtet.
Was ist mit dem Typen?, dachte Carmine. Wütender Redneck oder was?
Carmine setzte sein Spielergesicht auf, drehte sich dem Stinker zu und sah ihm gerade in die verquollenen Augen.
Der Stinker erwiderte seinen Blick und schmetterte ihn mit voller Wucht zurück.
Krasser Typ!, dachte Carmine, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Mädchen! Gib dem Weißbrot endlich sein Wechselgeld, damit er mich in Ruhe lässt!
Dann sah er unter dem Jackett des Typen etwas funkeln. Er brach den Augenkontakt ab und ließ den Blick zu einem Paar Handschellen und der Waffe wandern, die Stinker an der Hüfte trug.
Scheiße – ein Bulle!
Carmine kam sich vor wie ein Weichei, aber er drehte sich weg – was interessiert’s mich, nicht meine Sache. Er malte sich aus, wie es wäre, das Springmesser und die Rolle Geldscheine in seiner Tasche erklären zu müssen. Er dachte an die Zigarrenhülle mit den Bohnen, die er für seine Mutter bei Sam abgeholt hatte.
Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er Ärger mit der Polizei gehabt. Er führte sein Geschäft mit großer Umsicht, und außerdem sorgte der SNBC dafür, dass die richtigen Hände geschmiert wurden.
Der Bulle starrte ihn immer noch an. Corrina hatte kaum Scheine in der Kasse, weshalb sie das Wechselgeld in Vierteldollarmünzen zusammenzählte. Er spürte, dass der Typ genau wusste, was er für einer war, als könnte er ihm direkt ins Gehirn schauen und alle seine Gedanken lesen, alle seine Pläne
Weitere Kostenlose Bücher