Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
sehen.
Blödsinn, sagte er sich. Bullen sind keine Hellseher. Sie haben manchmal nur Glück.
Corrina drehte sich gerade um, um dem Bullen sein Wechselgeld zu geben, als der verkündete, sie könne es behalten, auf dem Absatz kehrtmachte und aus dem Laden marschierte.
» Comemierda! «, zischte sie, warf die Münzen zurück in die Schublade und drückte die Löschtaste.
»So schlimm ist er doch gar nicht«, sagte Carmine. »Er hat dir Geld geschenkt, für nichts.«
»Dann er grande comemierda !«, sagte sie und breitete die Arme aus.
Du wirst es weit bringen, dachte Carmine.
Zehn Minuten später ging Carmine ebenfalls und spazierte auf seinen Wagen zu.
Er war richtig stolz auf das dunkelblaue Mercedes-Cabrio mit dem beigefarbenen Lederinterieur und den pistolenblauen Felgen. Es war die reinste Freude, den Wagen zu fahren, in einer ganz eigenen, uneinnehmbaren aerodynamischen kleinen Welt durch die Straßen zu gleiten, das Dach offen, das Radio auf voller Lautstärke.
Lächelnd zog er die Autoschlüssel aus der Tasche. Der Vormittag war ein voller Erfolg gewesen. Wenn die Schlampe heute Abend tatsächlich wie vereinbart auf ihn wartete, dann war alles in Butter. Wenn er mit ihr fertig wäre, würde er ein paar Runden durch Coconut Grove drehen und nach weiteren Zielobjekten Ausschau halten. Dieser Teil des Jobs war ihm der liebste, und nur er konnte das. Jeder Idiot konnte Zuhälter sein – jeder Nigger oder Latino, jeder Weiße, Japse oder Chinamann, egal. Aber keiner hatte sein Talent, sein magisches Auge für die richtigen Karten. Gott hatte ihm nicht viel mitgegeben, aber das schon.
Plötzlich rannte er mit dem rechten Bein gegen etwas, das er nicht gesehen hatte, etwas Hartes und Festes. Er schlug lang hin, die Autoschlüssel schlitterten ihm aus der Hand. Er wollte sich gerade aufrichten, als etwas Schweres auf seinem Rücken landete und ihn zu Boden drückte.
»Hände weg vom Körper, die Handflächen nach unten, die Finger gespreizt«, sagte eine Stimme über ihm. Der Mann roch nach altem Alkohol und frischem Zigarettenrauch.
Der Bulle tastete ihn ab und drehte ihm die Taschen um. Heraus purzelten das goldene Feuerzeug, das Springmesser, die Geldrolle, die kleine Flasche Aftershave, die Brieftasche und die graue Zigarrenhülle. Der Bulle hob alles bis auf das Feuerzeug und das Aftershave auf.
Scheiße! Nicht die Hülle!
»Aufstehen!«
Carmine tat, wie ihm geheißen, und sah sich nun wieder diesen fiesen blauen, alkoholgetränkten Augen gegenüber. Der Bulle war kleiner als er, aber sehr viel breiter, und er sah sehr viel stärker aus.
»Louis de Ville, Fotograf … Jack Duval, Agent … Harold Bernini, Talentscout …« Der Bulle las die Visitenkarten vor, die er in seiner Brieftasche gefunden hatte, und hielt ihm jede einzelne unter die Nase. »Wer bist du? Wie heißt du?«
»Louis de Ville«, antwortete Carmine.
»Ach ja?« Der Bulle sah ihn zornig an. »Und woher kommst du, Lou-Wee ?«
»Von hier.«
»Nicht mit dem Akzent«, sagte der Bulle. »Was ist das? Haitianisch? Bist du Haitianer?«
»Nein«, log Carmine. »Ich komme aus New Orleans.«
»Ich kenne New Orleans. Welches Viertel?«
»French Quarter«, log Carmine. »Aber ich lebe schon lange nicht mehr da.«
»Dein Akzent ist jedenfalls noch nie da gewesen.« Der Bulle schnaubte verächtlich. »Ich wette, du bist Haitianer. Was willst du von dem Mädchen da drin?«
»Was soll man schon wollen von so einer süßen Braut wie der?« Carmine grinste, um in seinem Gegenüber männliches Einverständnis zu wecken, was er zutiefst bereute, als der Bulle ihm aus heiterem Himmel die Faust in den Solarplexus rammte. Der Schmerz schoss ihm bis in die Wirbelsäule und in den Brustkorb. Mit einem lauten Aufschrei fiel er aufs Knie und presste sich die Hände auf den Bauch, während der Faustschlag ihm bis hoch in den Schädel vibrierte. Dann kotzte er heißen Orangensaft über seinen 850-Dollar-Anzug.
»Du bist Zuhälter und willst sie rekrutieren.«
»Fick dich!«, ächzte Carmine. »Ich bin kein Zuhälter, du rassistisches weißes Bullenschwein.«
Der Bulle ging neben ihm in die Hocke und schüttelte die graue Zigarrenhülle vor seiner Nase.
»Was haben wir hier drin, Willie Dynamite? Drogen?«
»Nein. Samen.«
»Samen?« Der Bulle schraubte die Hülle auf.
»Ja, Samen. Das Zeug, das man in die Erde pflanzt und dann wachsen sieht, Arschloch.«
Der Bulle ließ sich die glatten Bohnen auf die Handfläche rollen. Sie waren
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