Der Totenschmuck
ihn unauffällig zu beobachten. Er war ungefähr so groß wie sie, hatte aschblondes Haar, einen kurz gestutzten Bart und freundliche braune Augen hinter einer John-Lennon-Brille. Er sah aus wie ein typischer Englischdozent. Er hatte sogar dunkle Ringe unter den Augen.
Als er einen Blick auf die Uhr an der Wand warf, fiel Sweeney ein, woher sie ihn kannte. Er war in Brads Wohnung gewesen, als sie und Toby sich im Schrank versteckt hatten.
In dem Moment sah er zu ihr herüber und lächelte. »Hallo, kann ich kurz mit Ihnen reden? Ich heiße Bill McCann. Ich arbeite für den Globe und berichte über den Wahlkampf hier. Kann ich Sie fragen, wie Sie Camille Putnams Rede von heute Abend finden?« Er hob fragend die Brauen, sein Stift kreiste über dem Notizbuch.
»Oh«, sagte Sweeney. »Ich bin nicht … ich meine, ich will lieber nicht.«
»Verraten Sie mir doch einfach, glauben Sie, dass Sie sie wählen werden? Aufgrund dessen, was Sie heute Abend gehört haben?«
»Ich möchte dazu lieber nichts sagen.« Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu und suchte nach ihrem Autoschlüssel. »Tut mir leid.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte er. »Schönen Abend noch.« Er lächelte, trat zur Seite und suchte nach einer anderen geeigneten Quelle.
Sweeney trat mit pochendem Herzen in den Abend hinaus. Plötzlich machte eine Sache Sinn. Quinn hatte gesagt, dass das Notizbuch, das er in der Wohnung gefunden hatte, einem Journalisten gehörte. Und Bill McCann hatte an dem Tag, als sie und Toby dort gewesen waren, etwas gesucht. Das Buch, das sie unter Brads Bett gefunden haben, musste McCann gehören.
Sie rekapitulierte das Gespräch mit Quinn. Es enthielt nur ein paar Worte, etwas über den Immobilienbesitz der Putnams in der Back Bay. Hatte McCann an einer Story über die Putnams gearbeitet und Brad interviewen wollen? Das wäre denkbar. Vielleicht hatte er das Buch einfach vergessen. Dann war Brad umgebracht worden und er hatte befürchtet, dass das Notizbuch gefunden werden würde und die erstmögliche Gelegenheit genutzt, um es sich zurückzuholen.
Als Sweeney wieder nach Hause kam, war es nach zehn. Sie sah kurz ihre Post durch und hörte ihren Anrufbeantworter ab.
»Hi, Sweeney«, sagte eine unbekannte Stimme, nervös und leise. »Hier spricht Melissa Putnam. Ich würde Sie gerne etwas fragen. Nichts Besonderes. Machen Sie sich nicht extra die Mühe zurückzurufen. Ich werde es morgen noch einmal probieren.«
Sweeney sah auf die Uhr. Es war schon zu spät für einen Rückruf, und außerdem hatte Melissa gesagt, sie wolle wieder anrufen.
Aber es war noch nicht zu spät, um Paul Blum anzurufen. Sie wählte seine Durchwahl, und er nahm nach dem ersten Klingeln ab.
»Hier spricht Sweeney. Hast du gleich deine Deadline?«, erkundigte sie sich.
»Nee. Ich bin gerade am Datenspeichern. Ein paar Minuten habe ich noch.«
»Hör zu, Paul. Kennst du einen gewissen Bill McCann?«
»Ja, er sitzt hier ein paar Tische weiter. Netter Kerl. Wieso?«
»Was kannst du mir über ihn sagen? Ich habe ihn heute Abend getroffen und habe mich nur gefragt, ob er … na ja, ob er solo ist.« Das war die beste Entschuldigung, die ihr eingefallen war, und sie wusste, dass Paul, ein unverbesserlicher Kuppler, darauf anspringen würde.
»Oh«, erwiderte Paul und klang auf einmal sehr interessiert. »Ja, ich glaube schon. Ich habe nichts darüber gehört, dass er mit jemandem ausgeht. Er ist nett. Einer von den Stars hier.«
»Worüber schreibt er denn gerade?«
»Nun, er war an der Runde im Parlament dran, aber wurde dann auf den Putnam-DiFloria-Wahlkampf für den Kongress abgestellt. Er hat ein paar gute Storys geschrieben.«
»War er schon an den Putnams dran, bevor er sich mit der Parlamentssache befasst hat?«
»Das ist ja lustig, dass du danach fragst. Er hat diesen
großen Sonderbeitrag für die Sonntagsausgabe vor ein paar Monaten gemacht. Die Story hat zwar nichts Neues gebracht, wenn ich mich recht erinnere, aber er hat sich mit den Immobilien der Familie beschäftigt und untersucht, ob sie von dem Back-Bay-Tunnelprojekt profitiert haben. Jedenfalls, als Brad Putnam starb und ich die Artikel über die Pechsträhne der Familie geschrieben habe, hat Bill mir mit seinem Material viel geholfen.«
»Danke. Äh, könntest du mir diesen Artikel vielleicht mailen? Ich würde auch ins Archiv schauen, aber das kostet Gebühren.«
»Geizhals. Warte kurz.« Sie hörte seine Finger auf der Computertastatur klappern. »Okay, jetzt
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