Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
Was machen Ihre Gänseblümchen, Sir?«
Bitte sehr … Trotz ihres trockenen Mundes hatte sie genau den richtigen Ton angeschlagen, um ihn unvorbereitet mit ihrem Spott zu treffen. Sie hörte, wie er den Atem ausstieß.
»Man hat Ihnen viel Freiheit zugestanden, Miss Hawthorne. So etwas hat es in der Geschichte unseres Stammes noch nicht gegeben.« Seine Stimme war sehr leise. »Man hat Ihnen eine Bewegungsfreiheit gewährt, die wir nicht einmal bei unseren Alphas durchgehen lassen, das Recht umherzuziehen, das Recht, in der Stadt zu jagen, alles aus einem bedeutsamen und ganz bestimmten Grund. Und wie haben Sie diese Zeit, die Ihnen gegeben wurde, genutzt?«
»Nun, ich habe es mir gut gehen lassen, natürlich. Besonders habe ich es genossen, die ganze Nacht mit Prinz Bonnie im Tower zu tanzen. Er schwor, mit mir nach Gretna Green durchzubrennen, sobald er den Thron bestiegen hat.«
Jemand scharrte mit den Füßen. Sie hörte das Rascheln von Papier.
»Und hat es Ihnen auch Spaß gemacht, Ihr Geheimnis der Welt zu enthüllen?«
Gradys Stimme war noch immer gedämpft, zitterte nun aber. »Hat es Ihnen gefallen, bei hellem Tageslicht herumzufliegen, um allen und jedem zu beweisen, dass es tatsächlich Drachen gibt?«
Rue zögerte. »Das war ich nicht.«
»Nein? Erlauben Sie mir, Ihnen auf die Sprünge zu helfen. Vielleicht gefällt Ihnen ein Artikel aus der Montagsausgabe des Evening Standard :
Ein monströser weißer Drache, mit entsetzlichen Klauen und Schwingen, die in pures Gold getaucht waren, raubte einen Mann und trug ihn in den Himmel empor, sehr zum Entsetzen unserer guten Stadt. Fünf Männer wurden ebenfalls Zeuge, wie er seinen gewaltigen Feuerodem hinab auf die heilige Kirche von St. Augustine wehen ließ.«
»Der Standard taugt nichts«, sagte sie einen Moment später. »Ich spucke nur selten Feuer.«
Noch einmal wurde mit Papier geraschelt, dieses Mal kräftiger. »Der Evening Standard ist nur eine von sieben Zeitungen, die diese Geschichte gebracht haben.«
»Nun gut. Aber es war nicht nur ich «, berichtigte sie ihn mit vorgetäuschter Ruhe. »Ich habe mehr Verstand, als so etwas zu tun. Ihr Marquis hat den Schlamassel begonnen. Er ist als Erster losgeflogen. Ich habe nur versucht, ihn zu retten. Ich habe einen tollen Vorschlag für Sie: Warum ziehen Sie nicht ihm eine Kapuze über, fesseln ihn und sehen, wie ihm das gefällt, anstatt ihn wie einen vernünftigen Menschen zu behandeln?«
In Gradys Ton mischte sich eine neue Spur von Zorn. »Glauben
Sie vielleicht, dass diese Situation etwas Komisches an sich hat, Gnädigste? Meinen Sie, wir würden das Ganze als einen mädchenhaften Streich abtun und Sie mit einem Klaps auf dem Handrücken davonkommen lassen?«
Rue entgegnete: »Ich stelle mir etwas anderes vor, Mr. Grady: Wenn der Alpha entdeckt, was Sie mir angetan haben, werden Sie dafür büßen.«
»Der Marquis von Langford ist unpässlich, wie Sie wissen müssten. Vielleicht ist das dauerhaft der Fall. Die Wunde an seinem Bein ist wirklich scheußlich.«
Zum ersten Mal spürte Rue einen Stich echter Angst. »Wo ist er? Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Mit ihm gemacht? Nichts. Es hat den Anschein, dass er seine Drachengestalt nicht mehr ablegen kann. Offenbar können wir ihn nirgends hinbringen. Solange er so bleibt, ist er im Lagerhaus am besten aufgehoben.«
Ihre Gedanken rasten. Wussten sie von dem Diamanten? Wenn sie ihnen davon erzählen würde, würden sie ihm Herte wegnehmen? Sie versuchte, sich zu erinnern, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, in jenen Sekunden, ehe man ihr die Augen verband. Sie glaubte, der Stein sei unter ihm gewesen …
»Sie jedenfalls werden beim ersten Tageslicht nach Darkfrith gebracht. Sie haben sich als zu große Gefahr für den Stamm erwiesen. Man wird Sie nach Chasen Manor bringen, wo Sie auf Ihre Eheschließung warten werden. Wie sehr auch jeder von uns es bevorzugen würde, wenn man Sie auf angemessenere Weise bestrafte, sind Sie doch als Gebärerin zu wertvoll, als dass man sich Ihrer entledigen könnte.« Er bewegte sich zur Tür. »Sollte der Marquis von Langford nicht überleben, wird man Sie mit dem nächsten Mann in der Linie, der zum Alpha wird, verheiraten.« Grady machte eine Pause. »Wer auch immer das sein mag.«
Sie musste auf ihren Atem achten. Sie musste ihren Puls kontrollieren. Sie würden ihren Körper beobachten und nach einem Zeichen von Schwäche suchen.
»Gute Nacht, Mistress Hawthorne«, sagte Grady milde.
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