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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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Gegenstände: ein weißes Tuch, weißer Faden, eine Nadel und Duftkräuter. Es folgte ein langes Schweigen, bis der Reiche begriff. Das war in der Tat alles, was dieser Mann über seinen Tod hinaus besitzen würde, alles andere, so unermesslich es war, würde nach ihm auf Erden bleiben. Der reiche Mann begriff, fing an zu weinen und spendete von seinem Vermögen so viel er konnte, bevor er in Frieden starb …’
    Die alte Dame hörte mir so gespannt und interessiert, so nachdenklich zu, dass mir plötzlich die unmögliche Situation klar wurde: Sie war reich und krank. Ich hätte die Geschichte nicht erzählen sollen, aber ihr zufriedenes Lächeln beruhigte mich, sie schien begriffen zu haben.
    Und wie um abzulenken sagte sie: ‚Heidi hat wirklich einiges mitgemacht. Es war eine harte Zeit für sie.’
    Ich schüttelte den Kopf und wollte nicht einmal mehr erfahren, wie es Heidi zu jener Zeit ergangen war. Und überhaupt, der Gedanke, ein anderer Mann hätte neben Heidi und mit ihr gelebt, wollte nicht in meinen Kopf und das Gefühl wollte nicht in mein Herz.
    ‚Sie sind doch Moslem, nicht wahr?’, fragte mich die alte, kranke Dame. ‚Ja, Madame.’ Sie überlegte kurz. ‚Sie würden meine Tochter aber nicht zum Kopftuchtragen zwingen, oder?’
    ‚Oh nein, Madame. Aus zwei Gründen nicht: Erstens würde ich ihr nichts vorschreiben dürfen, so lange ich nicht für sie sorge. Zweitens tragen auch meine Schwestern kein Kopftuch. Es ist eine persönliche Angelegenheit jeder Frau, niemand darf sie dazu zwingen. Das wäre, wie wenn man mich zum Beten oder Fasten zwingen würde. In unserem Glauben heißt es: ‚Es ist kein Zwang im Glauben.’ Und überhaupt, Madame, machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Heidi nicht heiraten. Wie denn auch? Wir sind zu verschieden. Ihre Welt und meine sind nicht vereinbar.’
    ‚Was Sie nicht sagen!’
    ‚Ja, Madame, bei uns sorgt der Mann für die Frau und die Kinder. Es kann zwar Ausnahmen geben, wissen Sie, unser Prophet hatte eine Chefin. Es war seine Frau, die das Geld hatte. Aber in der Regel wollen wir Araber nicht, dass unsere Frauen uns unterhalten. Und Heidis Welt ist doch Jahrhunderte von meiner entfernt. Sie hat ein Einkommen, das bei uns nicht einmal ein Minister verdient. Wie könnte ich mit ihr herumlaufen und sagen, ich sei der Mann? Wo mein Beitrag so gering wäre …’
    Am Ende des Gesprächs hatte ich die felsenfeste Überzeugung, dass diese alte Dame ihre Tochter aus den Fängen eines Kameltreibers retten wollte. Sie muss gewusst haben, dass ich so reagieren würde. Sie muss alles geplant haben, das Gespräch über Marco, über das Kopftuch. Sie wollte hören, dass ich keine Heiratsabsichten hatte. Diese schlaue Frau hatte es aus mir herausgepresst. Sie hatte mich zu dieser Aussage regelrecht hingeführt. Sie hatte mich nicht nur im Schach geschlagen …
    Ich verstand sie so gut. Sie erinnerte mich an meine eigene Mutter. Ein Mal, ein einziges Mal, hatte ich ihr von einer jungen Frau aus Österreich erzählt, die schön und intelligent war und in die ich mich fast verliebt hätte. Sie hatte aus dieser wunderschönen Frau eine Hexe, einen Teufel und eine Gefahr gemacht. Ich war ihr in den nächsten Tagen doch tatsächlich ausgewichen. Mütter können ihre Kinder gegen alle und alles verteidigen.
    Ich verabschiedete mich von der alten Dame und ging ins Dorf. Dort sah ich von Weitem, dass der einzige Blumenladen voller liebender und geliebter Menschen war. Ich stellte mich an und suchte etwas Passendes. Was war denn passend für so eine Frau? Ich hätte Rosen aus Gold, Yasmin aus Edelstein suchen sollen, aber es waren nur gewöhnliche Blumen da. Und so kaufte ich, wie alle Liebenden, einen Strauß.
    Heidi hatte große Freude daran, als sie am Abend erledigt nach Hause kam. Ich kam mir so nutzlos vor: Da arbeitete diese Frau zehn Stunden zwischen Büro und Fabrik, zwischen Laden und Personalführung. Und ich? Ich saß da und trank Tee, der keiner war, mit einer alten Dame, die mich unterhielt, um meine Langeweile zu verjagen. Was für eine Welt!
    Meine Prinzessin war müde und ich strotzte vor Unternehmungslust. Und so beschloss ich, alleine ins Dorf zu gehen, ich wollte einen Spaziergang machen und etwas trinken, unter die Einheimischen gehen.
    Heidi entschuldigte sich lange und ausführlich. Der Tag sei wirklich unglaublich hart gewesen. Das gebe es nur an Feiertagen wie Ostern, Weihnachten und eben Valentinstag. Sie könne kaum mehr stehen. Ich versuchte, sie

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