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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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zu beruhigen, nahm sie in die Arme, presste sie an mich, als wenn es ein endgültiger Abschied wäre, flüsterte ihr schöne Worte ins Ohr und sagte, ich würde vielleicht spät kommen. Mein Handy hätte ich dabei.
    Ich ertappte mich bei der ersten Lüge: ‚mein’ Handy. Es war nicht meins. Sie hatte es mir am ersten Tag gekauft und mir ein Abo dazu geschenkt. Ich konnte anrufen, so viel und wen ich wollte. Aber es war eben nicht mein Handy. Nichts war mein. Nicht einmal mehr die Kleider, die ich am eigenen Leib trug. Alles gehörte Heidi. Ich gehörte ihr.
    Die Nacht war bitterkalt, so kalt, dass dir dein Urin zwischen Körper und Boden gefrieren würde, wenn du es wagen würdest, wie wir es hier tun, dich einfach am Straßenrand hinzustellen und …, entschuldige Samia. Ich übertreibe vielleicht ein bisschen, aber glaubt mir, sogar atmen wird in dieser Kälte schwierig. Du hast das Gefühl, tausend kleine scharfe Messer durchdringen deine Nasenlöcher. Ich war froh, als ich in die warme Gaststube trat und in der Nähe eines Heizkörpers Platz nahm. Die Gäste kamen mir allesamt betrunken vor, denn sie lallten vor sich hin und redeten laut, fast wie wir. Aber nicht weil sie, wie wir, schlecht hören, nein, weil sie in diesem Wirrwarr in ihren Köpfen die eigene Stimme nicht mehr erkannten und somit lauter sprachen, damit sie sich durchsetzen konnten, denn niemand hörte dem anderen zu. Ich sah mich um, nachdem ich einen Kaffee bestellt hatte: Junge und Ältere, Männer und Frauen, und allesamt betrunken. Vielleicht war es der Tag der Liebe, der traditionsgemäß mit viel Alkohol gefeiert wurde. Ich beschloss, mich nicht darum zu kümmern. Trotzdem konnte ich es nicht übersehen, wie sie mit ihren Frauen umgingen. Sie hatten keinen Respekt vor ihnen und umgekehrt. Die Männer betatschten ihre Frauen in aller Öffentlichkeit, die Frauen ließen sich auch von anderen Männern lachend betatschen. Ich schaute weg.
    Ein Mann, um die vierzig, setzte sich zu mir, bestellte ein Bier und fing an, mit mir zu reden. Er schien noch nüchtern zu sein und fiel mir fast auf, weil er eben nicht wie die anderen eine schwere Zunge hatte. Er fragte mich, woher ich käme und ich sagte, ich sei aus Tunesien, und er sagte, er wäre schon mehrmals in Hammamet gewesen und dass es ihm gut gefallen hätte und dass seine Frau, seine zweite Frau, auch gerne nach Tunesien ginge. Ich freute mich. Er fuhr fort, dass seine erste Frau ihn verlassen hätte und dass sie eine gemeinsame Tochter hätten, die heute vierzehn sei und dass er sie leider nicht sehen würde, weder die Mutter noch die Tochter. Das hingegen stimmte mich traurig und interessierte mich. Ich wollte, wenn schon einer nüchtern war, etwas lernen aus ihrem familiären Leben. Und er legte los:
    ‚Weißt du, es fing damit an, dass unsere Tochter als Siebenjährige oft zu ihrer Freundin gehen wollte, nur zwei Straßen von uns entfernt. Ich habe sie immer auf diesem dreiminütigen Weg begleitet und der Vater ihrer Freundin hat sie immer nach Hause zurück begleitet. Irgendwann wollte sie keine Begleitung mehr, weder hin noch her, denn sie sagte, sie sei groß genug, um diese paar hundert Meter alleine zu gehen. Das ging auch problemlos. Sie ging hin, rief an, wenn sie dort war, rief an, wenn sie wieder von dort losging. Eines Tages kam kein Anruf. Wir waren so an ihren Anruf gewöhnt, dass wir nicht einmal bemerkten, dass sie nicht angerufen hatte. Wir dachten, sie hätte es vergessen, es war kurz vor Weihnachten und ihre Freundin hatte ihr vielleicht schon was von den Geschenken erzählt. Als sie um neun nicht nach Hause kam, rief ich den Nachbarn an. Er sagte, dass sie heute gar nicht gekommen sei.’
    Der Mann schluckte schon das zweite Bier hinunter und bestellte das dritte.
    ‚Es war in einer anderen Stadt’, fuhr er fort, ‚nicht dass du glaubst, Rüschlikon habe solche Probleme. Es vergingen drei qualvolle Tage, an denen wir nichts erfuhren. Am vierten Tag rief uns die Polizei an. Unsere Tochter sei am Waldrand gefunden worden; sie lebte, war aber schwer misshandelt worden. Sie wurde vergewaltigt.’
    Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Ein siebenjähriges Mädchen, vergewaltigt, wahrscheinlich von einem Irren oder einem zurückgebliebenen Jungen, das arme Ding.
    ‚Der Mann’, fuhr der nun leicht beschwipste Gast fort, ,der Mann war etwa sechzig Jahre alt, hatte Frau und erwachsene Kinder und arbeitete in einer Versicherung.’
    Mir stockte der Atem. Das konnte es doch

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