Der transparente Mann (German Edition)
durchzuatmen und die Gedanken zu ordnen. Auch Joe schnappte sich ihre Jacke und schickte sich an, schnellstens das Büro zu verlassen.
»Von mir hat sie diese Art nicht«, hörte sie ihren Vater noch im Hinausgehen poltern.
»Sie hat alles so gut vorbereitet. Du hättest sie ruhig mal loben können.«
»Loben? So etwas Albernes! Mich lobt auch keiner.«
Es regnete, als Joe auf den Hof trat. Sie atmete tief durch. Die Luft schien ihre Seele zu reinigen und den Frust allmählich wegzuspülen. Es war widersinnig, sich von ihrem Vater den Abend verderben zu lassen. Joe stieg in ihren Pick-up und legte die CD ein, die Konstantin ihr geschenkt hatte. Ifyoudon'tknowmebynow. Andere hätten sich bestimmt schon längst daran satt gehört, denn Joe spielte den Song auf jeder Fahrt mindestens einmal. Und auch jetzt summte Joe mit, hing ihren Gedanken nach, und als sie an einer roten Ampel anhalten musste, fiel ihr Blick wie automatisch auf ein Schaufenster. Da waren Träume in Weiß mit Schleier und Brautkranz, die sie wie magisch anzogen. Sie sah sich auf einmal mit jenem glücklichen Lächeln, das der Schaufensterpuppe ins Gesicht modelliert war. Die Züge der smarten Puppe im Frack glichen erstaunlicherweise Konstantins Gesichtszügen.
Joe seufzte. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie, von wem sie diesen symbolträchtigen Ring an den Finger gesteckt bekommen wollte. Joe fiel nichts, aber auch gar nichts ein, was dagegen sprechen konnte, ihn zu heiraten. Mit Konstantin konnte sie lachen. Sie freute sich, dass er den Schöngeist besaß, der ihr fehlte – noch fehlte, denn mit ihm war sie auf dem besten Wege, einen Sinn für Kunst und Kultur zu entwickeln. Sie liebte es, ihn zu schmecken und zu riechen, er war ein wunderbarer Liebhaber, der ihr ungeahnte Empfindungen bescherte. Konstantin war für Joe Gegenwart und Zukunft. Sechs Monate, drei Wochen und vier Tage waren sie nun ein Paar. Joe dachte an die vielen gemeinsamen Jahre, die noch vor ihnen lagen. Dabei wurde es ihr so warm ums Herz, dass sie die Heizung runterdrehen musste. Erst als die Autofahrer hinter ihr ein Hupkonzert veranstalteten, registrierte sie, dass die Ampel längst auf Grün geschaltet hatte.
»Das sind die Hormone.« Alf lachte, als Joe ihm von ihrem Tagtraum erzählte. Dabei füllte er sorgsam die Rinderrouladen mit Speck und Gurke. Rinderrouladen waren Joes Leibgericht. Alf versuchte stets, ihr eine Freude zu bereiten, wenn er ahnte, dass sie Konstantin vermissen könnte. Seit vier Tagen war er bereits geschäftlich in New York. Alf wusste, dass Joe sich nachts allein in ihrem Bett wie eine Süchtige auf Entzug fühlte.
»Ihr müsst euch unbedingt näher kennenlernen.« Sie schickte einen prüfenden Blick zu Alf hinüber. Ihr war schon länger aufgefallen, dass die beiden Männer es perfekt verstanden, einander aus dem Weg zu gehen. Zugegebenermaßen war das recht einfach, da Konstantin es vorzog, die Abende und Wochenenden nicht bei Joe, sondern mit ihr in seinem luxuriösen Haus zu verbringen, für das auch zweifelsfrei die Größe, der offene Kamin, die Sauna, das große Bett und das Heimkino sprachen. Joe war das ganz recht. Sie liebte es, bei ihm zu sein.
»Na ja, er ist einfach so anders als ich.« So vorsichtig, wie Alf seine Worte formulierte, legte er auch die fein säuberlich gerollten und mit Küchengarn zusammengebundenen Rouladen ins heiße Fett.
»Er ist ja auch nicht schwul«, meinte Joe augenzwinkernd.
Zwischen Zwiebelschneiden und Knoblauchpressen versicherte Alf, dass er keinerlei Vorurteile hegte, auch wenn er Menschen, denen Ruhm und Geld viel wichtiger waren als ihm, lieber aus dem Weg ging, da er einfach keine gemeinsame Ebene mit ihnen finden konnte. Joe wusste, worauf er anspielte. Voller Unbehagen erinnerte sie sich an den einzigen Abend zu dritt, an dem Konstantin sie in ein Zwei-Sterne-Lokal am Chiemsee eingeladen hatte. Er hatte endlich den Mann kennenlernen wollen, der Joe so nahe stand.
Das Treffen war von Anfang bis Ende ein Desaster. Konstantin konnte es kaum fassen, dass Alf sich extra für diesen besonderen Abend die Fingernägel lackiert hatte (immerhin durchsichtig). Und Alf, der die Langsamkeit liebte, bekam fast einen Infarkt, als Konstantin mit zweihundertzwanzig Stundenkilometern über die Autobahn raste. Sooft Joe auch ein nächstes Treffen arrangieren wollte – keiner der beiden Männer schien ernsthaft an einer Wiederholung dieses Abends interessiert zu sein. Stets hatten beide andere Pläne,
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