Der transparente Mann (German Edition)
Anekdote nach der anderen zum Besten gab. Konstantin war in ein Gespräch mit Julia Grafenberg vertieft, in dem es wie immer um Kunst ging und an dem sich Joe besser nicht beteiligte, obwohl sie seit Wochen täglich in einem sündhaft teuren Kunstratgeber blätterte, den sie über Amazon gebraucht erworben hatte und der jetzt auf ihrem Nachttisch lag.
Dann servierte Herr Hartmann leider Austern. Sie lagen auf silbernen Tellern auf Eis und schienen Joe anzustarren.
Joe hasste Austern. Sie glibberten so auf der Zunge, und der Geschmack nach Salz, Meer und Algen verursachte ihr einen üblen Brechreiz. Mit einem kräftigen Schluck Weißwein spülte sie das erste Tier tapfer und unzerkaut hinunter.
»Sie mögen keine Austern?« Julia Grafenberg, ganz aufmerksame Gastgeberin, war Joes Abneigung nicht entgangen, und sie schlug vor, ihr stattdessen eine rosa gebratene Gänsestopfleber bringen zu lassen.
»Nein danke, wirklich nicht nötig.« Verlegen stocherte Joe mit der kleinen Austerngabel am Rand der harten Muschel, um das Fleisch zu lösen. Nicht für Geld und gute Worte hätte sie jetzt noch die überfettete Leber qualvoll gemästeter Gänse schlucken können.
Beruhigend tätschelte Konstantin ihr Bein, um dann mit einem jungenhaften Schmunzeln seinen bereits geleerten Austernteller gegen Joes Teller auszutauschen.
»Gut für die Potenz.« Hans Grafenberg zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Joe war erstaunt. Auch in besseren Kreisen waren die Witze nicht besser als auf dem Bau.
Während Herr Hartmann den Hauptgang servierte, verstummte wie auf Kommando die leise Hintergrundmusik, da das letzte Lied auf der CD zu Ende war. Jetzt hörte Joe das Gluckern ganz deutlich. Es stammte von einer Heizung, die dringend entlüftet werden musste. Auch Konstantin und die Grafenbergs blickten automatisch hinüber zu den großen Jugendstil-Fenstern, vor denen breite, gusseiserne Heizkörper montiert waren.
»Ach, diese Heizung! Wir haben immer Probleme damit.« Julia Grafenbergs Ausruf entbehrte nicht einer gewissen Theatralik.
»Die müssen nur gescheit entlüftet werden. Reine Routine.« Joe sprach, ohne nachzudenken, da sie sich ganz auf ihr Rinderfilet mit Morchelsauce und Kartoffelgratin konzentriert hatte. Dieser zweite Gang war endlich nach ihrem Geschmack.
Joe spürte die erstaunten Blicke der Grafenbergs, und ihr wurde klar, dass Handwerker normalerweise nicht zu den Gästen dieses Hauses zählten.
»Johanna ist auch …«, setzte Konstantin zu einer Erklärung an, doch Joes strenger Blick ließ ihn verstummen. Um seine abrupte Pause zu vertuschen, trank er erst mal einen kräftigen Schluck Wein.
»… wirklich ungewöhnlich praktisch veranlagt«, beendete Julia Grafenberg den Satz lächelnd für ihn, um sich danach über die Selbstständigkeit der jungen Frauen von heute auszulassen. Nicht ohne Koketterie gestand sie, dass sie nicht einmal wusste, wo sich in diesem Haus der Sicherungskasten befand.
»Handwerker bewegen doch nur ihren Hintern hierher, wenn sie dir eine komplette Heizungsanlage verkaufen können. Das ist ja das Kreuz!« Hans Grafenberg hasste es, sich über dieses profane Thema zu unterhalten. »Wollten wir nicht noch nach Schottland zum Golfen, bevor der Winter kommt. 7 «, fragte er Konstantin.
»So kann man das nicht sehen.« Joe klang schroffer, als sie es beabsichtigt hatte. »Es gibt überall schwarze Schafe, aber die meisten Handwerker sind zuverlässig und gut, und ohne Handwerker würden Sie gar nicht hier sitzen.«
»Ein Plädoyer für die Handwerkerzunft von dieser jungen Dame? Wie ungewöhnlich! Aber ich habe so einen guten, zuverlässigen Handwerker noch nie getroffen.« Hans Grafenberg schien immer das letzte Wort haben zu wollen.
Konstantin streichelte beruhigend Joes Oberschenkel. Bevor Joe sich erneut zu einer Bemerkung hinreißen ließ, erhob sich Julia Grafenberg. Damit war das Thema endgültig beendet.
Kaffee und Cognac wurden im Salon gereicht. Hans Grafenberg rauchte eine dicke Zigarre. Aufmerksam hörte er Konstantin zu, der ausnahmsweise ebenfalls eine dicke Zigarre paffte und über die wahrscheinliche Wertsteigerung der Masterprints von Paul Strand philosophierte, von dem Joe noch nie zuvor etwas gehört, geschweige denn gesehen hatte.
Julia Grafenberg spürte, dass Joe zu diesem Thema auch gern eine Meinung gehabt hätte. »Im Esszimmer hängen drei Strands.«
»Ja, richtig«, erwiderte Joe schnell und fügte hinzu: »Ich würde sie mir gern noch einmal genauer
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