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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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anschauen.«
    »Aber bitte.« Julia Grafenberg wollte aufstehen, doch Joe winkte ab.
    »Bemühen Sie sich nicht. Vielen Dank.«
    Mit einem charmanten Lächeln und ihrem Cognacglas in der Hand erhob Joe sich und ging ins Esszimmer – dabei bemühte sie sich um einen höchst grazilen Gang, denn die taxierenden Blicke der anderen konnte sie förmlich in ihrem Rücken spüren. Sie war heilfroh, für einen Moment dieser Gesellschaft entfliehen zu können.
    Die Fotografien von Farnen und Zweigen in Schwarz-Weiß langweilten Joe bereits nach wenigen Minuten, umso mehr irritierte sie wieder das Gluckern der Heizkörper. Sie zögerte kurz, doch dann siegte der Klempner in ihr. Sie öffnete ihre winzige Abendtasche, die Konstantin ihr zum ersten Monatstag geschenkt hatte, und zog ihren Schlüsselbund heraus, an dem auch ein paar Entlüftungsschlüssel hingen. Ein prüfender Blick zur Tür, und schon kniete Joe vor dem ersten Heizkörper. Mit Zufriedenheit vernahm sie den hohen, zischenden Laut der austretenden Luft, bis schließlich die für alte Heizrohre typische rostig-braune Flüssigkeit herausspritzte. Joe fing das Wasser in ihrem leeren Cognacglas auf und wunderte sich, dass Menschen so viel Geld für Kunstwerke, aber so wenig für Rohrleitungen ausgaben. Diese hier mussten einfach dringend erneuert werden. Kaum hatte sie das Ventil geschlossen, hörte sie Schritte auf dem glänzenden Parkett.
    Panik erfasste Joe. Vor Schreck kauerte sie regungslos auf dem Boden. Der Cognacschwenker war zur Hälfte mit braunem Heizungswasser gefüllt. Der Esstisch versperrte noch die Sicht auf ihr Tun. Suchend blickte Joe sich um, aber es war kein Blumentopf in greifbarer Nähe, in den sie die braune Brühe hätte schütten können.
    »Johanna! Wo steckst du denn?« Das war Konstantins Stimme.
    Die kleine Gesellschaft kam immer näher, sodass Joe nichts anderes übrig blieb, als sich zu erheben. Sie lächelte Konstantin und Julia Grafenberg an, die nun direkt vor dem Tisch standen.
    »Was machst du denn da?« Konstantin war ernsthaft verblüfft.
    Joe fiel nichts Überzeugenderes ein, als vorzugeben, einen Ohrring zu vermissen, obwohl sie gar keine Ohrringe trug. Sie hatte nicht einmal Löcher gestochen.
    »Ich werde ihn suchen lassen. Ich bin sicher, er wird sich bald finden. Dieses Haus verliert nichts.« Julia Grafenberg überging, dass Joe heiße Röte ins Gesicht geschossen war. Dafür war Joe ihr in diesem Moment unendlich dankbar.
    »Na dann, zum Wohl.« Konstantin hob sein Glas, und Joe dachte erleichtert, dass sich der Cognac farblich kaum merklich von der Flüssigkeit in ihrem Glas unterschied. In einem Zug und ohne das Gesicht zu verziehen, trank sie die rostige Flüssigkeit.
    Es regnete, als Joe eine Stunde später mit Konstantin nach Hause fuhr. Der Abend hatte sie mehr erschöpft als alle Überstunden auf dem Bau.
    »Du hast doch gar keine Ohrringe getragen, oder?«, fragte er, während sie durch die Dunkelheit fuhren.
    »Ich habe die Heizkörper entlüftet.« Sie sprach so leise, dass er sie kaum verstehen konnte.
    »Du hast was?«
    »Die Heizkörper entlüftet.«
    Konstantin blickte irritiert zu ihr, dann musste er sich wieder auf den Straßenverkehr konzentrieren.
    »Ich kann so was einfach nicht hören. Da war so viel Luft drin! Die Leitungen könnten sie übrigens auch mal erneuern. Kommt ja mehr Rost als Wasser.«
    »Das glaube ich einfach nicht.«
    »Doch.« Joe klang ganz kleinlaut.
    »Und was hast du mit dem Wasser gemacht?« Sein besorgter Blick zeigte ihr, dass er an den kostbaren Mosaikfußboden dachte.
    »Getrunken.«
    Konstantin brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann brach er in hemmungsloses Gelächter aus und hörte erst auf zu lachen, als er Joes bekümmerte Miene bemerkte. Liebevoll nahm er sie in den Arm. Er küsste sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Dafür liebe ich dich noch viel mehr.«
    »Dann haben wir ja Glück.« Joe hatte ihren Humor wiedergefunden. Jetzt war ihr endlich danach, ihm ihre jüngste Lebensentscheidung mitzuteilen. »Weißt du, gestern Abend hatte ich eine wichtige Entscheidung zu treffen. Ich verschiebe mein Studium. Ich will vorher noch meine erste eigene Großbaustelle leiten. Mein Vater hat mir das Angebot gemacht.«
    »Dann verlegst du also weiterhin Rohre?« Der Schalk blitzte nur so aus seinen Augen, als er Joe zärtlich zu sich herüber auf den Fahrersitz zog und sie küsste.
    »Sicher!« Joe lachte, obwohl sie solche Witze verabscheute. Nur Konstantin durfte so etwas zu

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