Der transparente Mann (German Edition)
Männer Marc, Kulzer, Huber und Hoffmann bereits pünktlich bei der Arbeit im Rohbau waren.
Joe stieg aus und stiefelte im Arbeitsoverall und mit festen Schuhen an den Füßen über das Baugelände. Den Zollstock hatte sie wie üblich in die Hosentasche gesteckt. Beschwingt steuerte sie auf den grauen Container zu, in dem sich das Baubüro mit Computeranlage, Kaffeemaschine und Kühlschrank befand.
»Guten Morgen, Herr Wagenscheidt.« Joe schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, als sie den Container betrat. Die Kaffeemaschine hatte ihren Duft schon entfaltet, und hier drinnen war es angenehm warm.
»Freut mich, Sie zu sehen.« Wagenscheidt legte die Zeitung zusammen. Er beeilte sich aufzustehen und begrüßte Joe mit einem kräftigen Händedruck. »Kaffee?«
»Gern. Ich habe noch Material mitgebracht.« Sie sagte es wie zur Entschuldigung. Er sollte nicht glauben, sie würde erst nach ihren Arbeitern den Tag beginnen. »Der Chef kommt als Erster und geht als Letzter.« Dieser Merksatz ihres Vaters war nämlich fest in ihrem Kopf verankert.
Wagenscheidt reichte ihr einen Kaffee. Sie setzten sich an den langen Besprechungstisch gegenüber der Planungswand, auf der mit bunten Farben die Termine aller Gewerke markiert waren. Nachdem sie die Arbeitsabläufe besprochen hatten, blickte Wagenscheidt sie wohlwollend an. »Tja, dann auf gute Zusammenarbeit.«
»Wird schon schief gehen.« Ihr Blick war so souverän, als würde sie seit Jahren nichts anderes machen, als ganz allein die Sanitär- und Heizungsinstallationen einer Großbaustelle zu planen und zu leiten.
Wagenscheidt stand auf und zog seine makellose braune Lederjacke an, die ihm ein jugendliches Aussehen verlieh, obwohl er um die sechzig sein musste. »Wissen Sie, ich will Ihnen keinesfalls zu nahe treten, aber in den zwanzig Jahren, in denen ich Oberbauleiter bin, hatte ich noch nie mit einer Frau zu tun. Ehrlich gesagt, Sie haben mich schon bei unserem ersten Treffen beeindruckt.«
»Danke.« Joe überspielte ihre Freude, indem sie nochmals prüfend einen Blick auf die Planungswand und ihre Unterlagen warf, die vor ihr auf dem Besprechungstisch ausgebreitet lagen. »Es ist wichtig, dass Ende des Monats die Fenster drin sind. Sonst können wir die Heizkörper nicht termingerecht setzen«, erklärte sie geschäftig.
»Keine Sorge. Ich kümmere mich darum.« Bevor Wagenscheidt den Baucontainer verließ, drehte er sich nochmals um und musterte sie lächelnd. »Ihr Vater ist bestimmt stolz auf sie. Eine so schöne junge Frau in einem so harten Männerjob.«
»Ja«, sagte Joe. »Das ist er.«
Schade nur, dass das eine Lüge war.
Mit Huber und Marc kniete Joe auf dem rauen Betonboden im Rohbau. Gemeinsam studierten sie den Bauplan, während Kulzer und Hoffmann suchend daneben einen Schacht ausleuchteten.
»Hier. Da sind sie ja«, meinte Joe und zeigte auf eine markierte Stelle im Plan. »Für die Heizungen gibt es extra Aussparungen.« Dann stand sie auf und deutete mit dem Lichtkegel einer Taschenlampe geschäftig in die Tiefe.
»Kann ich mal die Chefin sprechen?« Die Stimme, die nur aus wenigen Metern Entfernung zu ihr herüberklang, ließ ihr Herz im Akkord schlagen.
Hastig sprang Joe auf. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und sie brachte kein Wort hervor. Er stand mit einem amüsierten Lächeln vor ihr. Direkt der First Class einer Airline entsprungen. Sein zweiter Blick galt seinen Schuhen. Der Weg zu ihr in den vierten Stock hatte Spuren auf den sonst blank polierten Pferdelederschuhen hinterlassen.
»Ihr schafft es auch fünf Minuten ohne mich, oder?« Joe schaute Huber geschäftsmäßig an und gab sich Mühe, ihre Freude zu verbergen.
»Logisch. Auch zehn«, antwortete Huber lächelnd. Er kannte sie, seit sie ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen war. Er hatte ihr alles auf dem Bau erklärt, immer dann, wenn ihr Vater keine Zeit dafür gehabt hatte.
»Ja, dann bis gleich.« Lächelnd ging sie auf Konstantin zu und dann gemeinsam mit ihm die Treppen hinunter. Joe spürte die Blicke der Monteure in ihrem Rücken. Es schien ihr eine Ewigkeit, bis sie endlich außer Sichtweite waren. Dann legte Konstantin sofort lustvoll den Arm um ihre Hüften. Er drückte sie fest an sich und stöhnte kurz leidenschaftlich: »Ich habe dich so vermisst!«
»Ich dich auch.«
»Gut, dass ich nicht eifersüchtig bin.« Er lachte so, wie Joe es liebte.
»Wieso eifersüchtig?«
»Bei so vielen Männern, die du unter dir hast!« Konstantin grinste und nahm ihre
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