Der transparente Mann (German Edition)
sehr nobel in der ersten Klasse, waren also in jeder Hinsicht privilegiert.
Joe starrte sie an, bis die Koffer auf langen Rollbändern in den Bauch des Fliegers transportiert wurden und beide Arm in Arm und voller Vorfreude auf das Gate zuliefen, von dem aus ihr Flieger nach Rom starten sollte. Leider versperrte dann eine Touristengruppe mit voll beladenen Gepäckwägen Joe die Sicht. Als sie sich endlich weiterbewegt hatte, war das Paar unwiederbringlich aus Joes Gesichtsfeld verschwunden. Bald würden er und die andere auf den besten Sitzen Platz nehmen und Begrüßungschampagner serviert bekommen, bevor die Maschine auf die Startbahn rollen würde, um die beiden auf kürzestem Weg zu ihrem italienischen Hotelbett zu fliegen.
Joe stand auf, Pudding in den Beinen. Sie steuerte auf den Ausgang zu. Blind wie sie war, stieß sie mit Hausmeister Wimmer zusammen, der mindestens genauso erschrak wie sie, als sein Gepäckwagen gegen ihre Beine prallte. Trotz ihrer Verkleidung erkannte er Joe auf den zweiten Blick. Neben Herrn Wimmer stand eine Frau, die allerdings nicht die seine war. Das anmutige Geschöpf mit den königsblauen Augen hatte die Figur eines Models für Sahnepudding. Die Kilos gaben ihr etwas sehr Sinnliches, ganz im Gegensatz zu seiner Ehefrau, die so schlank war, dass man sich an den Hüftknochen stoßen konnte. Vielleicht sollte sie auch mehr Sahnepudding essen, schoss es Joe durch den Kopf.
Sie registrierte sofort, dass die zwei gemeinsam verreisen wollten. Zwei Reisetaschen waren auf einem Gepäckwagen deponiert, den Herr Wimmer vor der Kollision mit ihr geschäftig geschoben hatte, und sein verstörter Blick bestätigte Joes Seitensprung-Vermutung. »Frau Benk, ja … ja, was machen Sie denn hier?«
»Nichts Besonderes. Guten Flug!«, sagte Joe schnell und stolperte weiter. Er rief ihr etwas hinterher, aber sie überhörte es geflissentlich. Bestimmt wollte er um Diskretion bitten, falls sie seine Frau traf, die wöchentlich die Treppe mit einer penetrant nach Apfel stinkenden Flüssigkeit putzte. Erst letzte Woche hatten sie sich im Hausflur unterhalten. Joe hatte gerade den von ihm hartnäckig ignorierten und seit Wochen defekten Türstopper repariert, als seine Frau ihr strahlend von ihrem fünften Hochzeitstag und den Babyplänen erzählt hatte, während sie sich dabei augenzwinkernd für den Lärm entschuldigte, der an besagtem Wochenende durch die dünnen Wände gedrungen war. Während die automatische Flughafentür Joe nun ins Freie entließ, wunderte sie sich, ausgerechnet Herrn Wimmer am Flughafen in flagranti ertappt zu haben. Nach den Geräuschen zu urteilen, die immer durch die dünnen Wände zu ihr drangen, hatte sie sein Sexleben für höchst befriedigend gehalten. Offensichtlich war auch das keine Garantie für Treue. Die ahnungslose Ehefrau tat ihr leid.
Joe stakste weiter zu ihrem Auto, das sie im Parkhaus abgestellt hatte. Zum Glück hatte sie sich die Stellplatznummer auf dem Ticket notiert. Mit ihrem blutleeren Kopf wäre sie ansonsten stundenlang herumgeirrt.
Der Wagen stand planmäßig an seinem Platz. Er war schmutzig wie schon sieben Monate nicht mehr. Joe setzte sich hinein und fuhr los.
Die nächste Tankstelle mit gut sortiertem Minimarkt war nur wenige hundert Meter vom Flughafen entfernt. Joe kaufte drei Tüten Chips, die mit Paprika, Zwiebeln und Käse, dazu drei Flaschen Cola, Red Bull und eine große Tüte Gummibärchen. Joe liebte diese Shops mit den undefinierbaren Gerüchen nach Öl, Benzin, Kaffee und Currywürsten, die man wie die labberigen Schnitzel heiß aus Automaten ziehen konnte. Die Möglichkeit, hier Tag und Nacht einkaufen zu können, gab Joe ein Gefühl der Freiheit, obwohl alle Produkte teurer waren als im gewöhnlichen Supermarkt. Alf schimpfte oft wegen dieser Dekadenz, das Geld in ihrer Haushaltskasse war stets zu knapp, aber Joe wollte sich diesen kleinen Luxus nicht nehmen lassen.
Im Gegensatz zu ihrer sonstigen Gewohnheit blieb sie diesmal vor den üppig mit diversen Zeitungen, Zeitschriften und Fachmagazinen bestückten Regalen stehen. Selbst die Titelgeschichten der bunten Frauenblätter schienen kein anderes Thema als Liebe und Treue zu kennen. Sogar mittels Testfragen versuchten sie, Frauen auf die Spur zu helfen, ob ihr Partner sie wirklich so liebte, wie er vorgab. Wer im Test null bis fünf Punkte erreichte, konnte demnach sicher sein, ein Goldstück im Bett zu haben. Mit dreißig Punkten hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem Hasen als
Weitere Kostenlose Bücher