Der transparente Mann (German Edition)
mit einem Mann. Befriedigt stellte Joe fest, dass es einen echten Bedarf bei Frauen gab, wenn es um die wahre Liebe ging. Sie schleppte so viel bedrucktes Papier zur Kasse, wie sie tragen konnte.
»Da haben Sie aber eine Menge zu lesen!«, bemerkte der flotte Kassierer mit Blick auf fünf Tageszeitungen, mehrere Frauenmagazine und Illustrierte, für die Joe fast fünfzig Euro bezahlte. Seine Kollegin in knappen Jeans und engem Shirt beeilte sich, einen Karton zu organisieren, damit Joe die Zeitungen besser transportieren konnte. Mit detektivisch geschultem Auge registrierte Joe die flirtenden Blicke, die die beiden tauschten. Er trug einen schmalen goldenen Ehering am Finger. Sie nicht. Joe hatte das Gefühl, als kreuzten nur noch untreue Männer ihren Weg.
Auf dem Weg nach Hause stoppte Joe an einem Computershop. Mit dem neuen Frontpage-Programm konnte man professionell eine Webpage einrichten. Die zehn Minuten, die sie im absoluten Halteverbot vor dem Laden geparkt hatte, reichten für einen fetten Strafzettel, der gerade ausgestellt wurde, als Joe aus dem Laden stürmte. Der Frust des Lebens war der Politesse ins Gesicht gemeißelt, ihr Strichmund hatte wohl nie einen Lippenstift gesehen, und das Ausstellen des Strafzettels schien ihr einziges orgiastisches Vergnügen zu sein. Obwohl Joe mit Engelszungen auf sie einredete, war sie nicht gewillt, sich in Nachsicht zu üben, verdrehte nur die Augen, und öde Belehrungen quollen aus ihrem Mund.
»Dann müssen Sie sich eben vorher überlegen, wo Sie parken!«
»Danke für den guten Tipp.« Der Zynismus in Joes Stimme war nicht zu überhören. Sie stieg wieder in ihren Wagen, zerknüllte demonstrativ den Strafzettel und warf ihn in den Fußraum des Beifahrersitzes. Hier fügte er sich harmonisch zwischen leeren McDonald's-Tüten, Tempos, Schokoladenpapier und lehmigen Gummistiefeln ein. Dann kurbelte sie das Fenster herunter, denn ihr alter Kastenwagen besaß nicht den Luxus eines elektrischen Fensterhebers.
Es war warm wie im Frühling. Die Sonne hatte die Menschen aus ihren Wohnungen gelockt. Auf Fahrrädern und Inlineskates bevölkerten sie die Radwege oder drängten in die Innenstadt, die Dächer ihrer Cabriolets heruntergeklappt, sodass sie sich auf ihren fahrbaren Freiluftbühnen bestens präsentieren konnten. Vögel, die sich noch nicht auf den Weg in wärmere Gefilde gemacht hatten, füllten die Luft mit aufgeregtem Gezwitscher. Ganz gleich, wohin Joe auch blickte, überall sah sie verliebte Paare, voller Hoffnung, dass es diesmal die Liebe ihres Lebens sein würde. Joe malte sich aus, wie sie in Zukunft ein Stück dazu beitragen würde, dass Frauen nicht mehr blind durchs Leben tapsten. Wenn nur genügend Frauen ihre Männererfahrungen der Webpage anvertrauen würden, könnte »frau« in Zukunft mit einem Klick herausfinden, ob »er« topp oder Flop war. Frauen könnten einander in einem speziellen Forum Ratschläge geben, trösten oder einfach anfragen, ob andere Frauen etwas Positives oder Negatives bezüglich des neuen Freundes wussten. Joe war so begeistert von ihrer Idee, dass sie fast den Parkplatz übersah, der ausnahmsweise direkt vor ihrem Haus frei war.
Alf war nicht zu Hause. Ohne ihn und sein Geklapper in der Küche oder die Meditationsklänge, die beruhigend aus seinem Zimmer drangen, kam die Wohnung Joe leer und unbewohnt vor. Nur ein wunderschöner Strauß Lilien stand auf dem niedrigen Tisch im Wohnzimmer, und im ersten Moment fürchtete Joe, sie wären von Konstantin. Da sich aber keine Karte dabei fand, die den edlen Absender verriet, und Joe wusste, dass Konstantins Selbstdarstellungstrieb so etwas immer verlangte, war sie beruhigt. Die edlen Blüten waren wie gemalt, ihr schwülstiger Duft schien sich wie ein Parfüm in Kissen und Vorhängen zu verfangen. Befriedigt stellte Joe fest, dass sie hier, in dem bunten Sammelsurium aus Möbeln vom Flohmarkt, viel lebendiger wirkten als in der protzigen weißen Villa mit weißen Möbeln. Konstantins Haushälterin hatte des Öfteren weiße Lilien in einer weißen Vase auf dem weißen Tisch arrangiert. Frau Fieler war fast sechzig und mit einer mütterlich runden Figur ausgestattet, und so war Joe sich sicher, dass Konstantin mit ihr nicht auch ein Verhältnis hatte. Obwohl, man konnte ja nie wissen.
Nachdenklich setzte Joe sich aufs Sofa und wunderte sich, warum Alf so teure Blumen gekauft hatte. Sie trank einen Red Bull und knabberte Chips. Sie vermisste Alf, fühlte sich in diesem Universum
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