Der transparente Mann (German Edition)
Windstärke zehn ruckte das kleine Häuschen nach vorne, und mit ihm schwappte der gesamte Inhalt der Kloschüssel, respektive das, was Hoffmann hier vor wenigen Minuten hinterlassen hatte, über.
Konstantin, der oben im dritten Stock immer noch fluchend nach Joe suchte, schaute zufällig in diesem Augenblick nach draußen. Getrieben von einem angeborenen Interesse an allem Skurrilen, schlurfte er zum Fenster, denn der Estrich, der in dicken Batzen an seinen Schuhen klebte, verhinderte die ihm sonst eigene Leichtfüßigkeit. Was er da sah, konnte er kaum glauben, und es amüsierte ihn sehr. Auf Augenhöhe mit ihm schwebte ein blaues Dixi-Klo unter freiem Himmel. Ein Baukran hatte das kleine Häuschen in seinen Krallen und schwenkte es lustig hin und her. Selbst dem baustellenunerfahrenen Konstantin erschien das plötzlich ungewöhnlich, besonders da alle Arbeiter drumherum standen, sich amüsierten und dabei gebannt auf dieses Klo in der Luft starrten.
Jetzt müsste man den Auslöser drücken, bedauerte der Fotograf in ihm, doch eine weise Stimme flüsterte ihm zu, dass hier tatsächlich etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Und dann sah er, dass der Kranführer dieses blaue Klo genau dorthin schwenkte, wo er seinen Wagen geparkt hatte, obwohl ein Schild das Parken an dieser Stelle ausdrücklich untersagte. Konstantin bereute augenblicklich seinen lebenslangen Hang, Verbote zu ignorieren. Na ja, mein Cabrio ist ja nicht zu übersehen, redete er sich gut zu, um sich zu beruhigen. Vorsichtshalber fuchtelte er dennoch wild mit seinen Armen, um auf sich und sein Auto aufmerksam zu machen, und dann wurde er endlich erlöst: Der Kranführer blickte aus seinem Glaskasten in Konstantins Richtung. Verstehend streckte er einen Daumen nach oben. Während seine Kumpels, fünfzehn Meter unter ihm, immer lauter grölten, schwenkte er das Klohäuschen aber trotzdem weiter. Konstantin wurde siedend heiß klar, dass dies ein Anschlag war. Und das Ziel dieser blauen Riesenbombe war sein Cabrio!
Joe war froh, als die Turbulenzen, die sie einige bange Minuten in diesem Häuschen hin und her geschüttelt hatten, endlich nachließen. Jetzt hatte sie das Gefühl zu schweben. Langsam setzte auch ihr analytischer Verstand wieder ein, und sie folgerte, dass das Dixi-Klo nicht an einem Helikopter, sondern an einem Kran hängen musste. Dabei konnte es sich nur um einen ziemlich schlechten Scherz ihrer Männer handeln. Joe stellte sich gerade die Frage, wie lange sie das noch aushalten musste, als das Klo wieder schwankte und dann plötzlich seitlich wegkippte. Sie hatte erneut Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten. Joe strauchelte und klammerte sich wieder an der rettenden Kloschüssel fest, sonst wäre sie in der gut drei Zentimeter tiefen Pfütze aus Urin, Wasser und Klopapier gelandet.
Waren ihre Männer denn verrückt geworden? Oder war sie ein Opfer der Versteckten Kamera geworden? Weder die eine noch die andere Vorstellung fand Joe witzig. Kurz nur nahm sie durch den schmalen Schlitz zwischen Tür und Rahmen die Farbe von Konstantins Wagen wahr, bevor sie mit einem Ruck plötzlich gänzlich zur Seite kippte. Dann war auf einmal alles ruhig. Sie war gelandet. In der Horizontalen zwar, aber sie war gelandet.
»Ganz ruhig bleiben, Joe, ganz ruhig bleiben!«, ermahnte sie sich immer wieder und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Dabei kämpfte sie gegen ihre Beklemmung und gegen die Hitze an, die ihren Nacken hinaufkroch und von der sie wusste, dass sie der Vorbote einer klaustrophobischen Explosion sein würde. Ihr war jetzt egal, dass sie mitten in einer Kloake lag. Sie dachte auch nicht mehr darüber nach, ob man sich wohl an diesen Gestank gewöhnen könnte, denn sie nahm ihn längst nicht mehr wahr. Joe wollte nur noch eines: hier raus! Und in dem Moment brach es auch schon aus ihr heraus. Sie übertönte das heiße Brodeln in ihren Schläfen und schrie. Sie schrie, so laut sie konnte:
»Ich will hier raus!«
Draußen blieb alles still.
»Hey! Hört ihr mich? Was soll das? Lasst mich hier raus! Hey! Verdammt!« Dabei rappelte sie sich hoch, was in dieser schrecklichen Seitenlage nur in der Hocke möglich war. Verzweifelt hämmerte sie gegen die Tür, die sich nun genau über ihrem Kopf befand. Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit, hörte sie, wie sich jemand von außen an der Tür oder vielmehr an dem, was die Tür zusätzlich verriegelt hatte, zu schaffen machte. Joe drückte von innen so fest dagegen, dass ein Spalt von
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