Der transparente Mann (German Edition)
Joe und sah ihn verständnislos an.
»Haben Sie nicht mitbekommen, was gestern hier los war?«
»Nur zum Teil«, antwortete Joe wahrheitsgemäß, denn sie wusste ja nicht, was während und nach der »Dixi-Klo-Affäre« sonst noch alles auf der Baustelle passiert war.
»Schauen Sie sich den Estrich an! Diese Penner! Nur ein Vollidiot latscht durch frischen Estrich. Was das wieder kostet! Alles muss raus! Wenn ich einen von denen erwische! Die sollen unter Brücken schlafen, aber nicht in meinem Bau.«
Joes Gedanken überschlugen sich, und sie kam zu dem Schluss, dass Wagenscheidt offensichtlich weder Zeitung gelesen hatte noch wusste, was hier auf der Baustelle in Wirklichkeit vorgefallen war. Sie musste sich Mühe geben, ihre Erleichterung zu verbergen.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Sie können ja nichts dafür. Ich habe im Augenblick zwei große Baustellen auf einmal zu betreuen. Da gehen einem die Nerven schon mal durch.« Jetzt sah Franz Wagenscheidt sie wieder freundlicher an; sein Zorn war verraucht.
Joe nickte ihm verständnisvoll zu. Innerlich aber jubelte sie über die Solidarität ihrer Männer, die sie doch nicht im Stich gelassen hatten. Stattdessen hatten sie Wagenscheidt offenbar irgendein Märchen aufgetischt, um den zerstörten Estrich zu erklären. Joe verließ den Bauwagen und ging in das Gebäude, um sich als Erstes bei ihren Männern zu bedanken.
Der kühle Geruch des Steins ließ sie frösteln, kaum dass sie den Rohbau betreten hatte. Aus den oberen Stockwerken drangen Geräusche und Stimmen zu ihr, die sie jedoch nicht den Arbeitern der Firma Benk zuordnen konnte. Überrascht sah sie sich im Erdgeschoss um. Nicht nur die fahrbaren Gerüste waren abgebaut, alles war bereits fertig isoliert. Ungläubig schritt sie die ganze Etage ab, aber auch in den anderen Stockwerken bot sich ihr ein ähnliches Bild: Sämtliche Leitungen waren isoliert, alle Gerüste entfernt. Joe kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ihr fehlten die Worte, als sie im Treppenhaus auf Hoffmann und Kulzer stieß, die schnaufend eine Badewanne nach oben schleppten. Ohne die Wanne abzustellen, blieben die beiden am Treppenabsatz stehen und grinsten Joe breit an.
»Wart ihr das?«, fragte sie mit Blick auf die perfekt isolierten Leitungen und fügte leise hinzu: »Danke.«
»Nix für ungut«, meinte Hoffmann in derbem Bayerisch, und dann gingen die beiden Monteure weiter, denn sie hatten keine Zeit für Rührseligkeiten. Es war auch kein weiteres Wort nötig. Joe wusste, dass dies die Entschuldigung ihrer Männer für die Dixi-Klo-Aktion war. Nein, hier schlug ihr kein kalter Wind entgegen, im Gegenteil. Die Männer standen hinter ihr. Joe ahnte, dass sie die halbe Nacht geschuftet hatten, um dieses gewaltige Pensum zu schaffen. Zum Glück entging es Hoffmann und Kulzer, wie gerührt Joe war, denn sie waren längst mit ihrer Wanne auf dem Weg in ein oberes Stockwerk.
Joe streifte weiter durch die Etagen. Der Gedanke, wie sie Huber gegenübertreten sollte, beschäftigte sie unaufhörlich. Als Tochter seiner Geliebten? Als Tochter seines Chefs? Oder einfach als Joe, mit der er schon so lange zusammenarbeitete und die er seit Kindertagen kannte? Dann entdeckte sie im Seitenflügel des Gebäudes Wagenscheidt, der der Sache mit dem Estrich offensichtlich noch mal auf den Grund gehen wollte. Er redete dort gerade mit Hoffmann und Kulzer, die mit den Schultern zuckten und immer noch die Ahnungslosen spielten. Joe lächelte. Keiner der Monteure trug ihr etwas nach. Der Aufstand der Männer wegen ihrer Webpage hatte sie am Ende nur noch enger zusammengeschweißt.
Ein Stockwerk höher entdeckte sie endlich Hubers vertraute Gestalt. Er mühte sich kniend damit ab, eine Wanne einzubauen. Unschlüssig blieb Joe stehen und beobachtete ihn durch die geöffnete Tür. Bei seinem Anblick fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Wer war in dieser unseligen Angelegenheit Täter, und wer war Opfer?
Huber schien ihre Anwesenheit zu spüren und drehte sich um. Er richtete sich auf, ihre Blicke trafen sich, und als Joe den Ausdruck in seinen Augen sah, wusste sie, dass ihn und ihre Mutter mehr verband als eine unbedeutende Affäre. Er schaute sie nur an, sagte aber kein Wort. Dabei gab es so vieles, was Joe dringend wissen wollte. Sie hätte ihn zu gern gefragt, ob er ihre Mutter wirklich liebte und für sie seine Frau verlassen würde. Plötzlich aber fielen ihr die Worte ihres Vaters ein. Es geht dich nichts an, echote es in
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