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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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hatte.
    »Willst du noch Kaffee?« Hilda hatte ganz sachte die Hand auf Joes Schulter gelegt.
    Erstaunt nahm Joe die Ruhe wahr, mit der ihre Mutter Kaffee nachschenkte, dann den Teller und die Tasse ihres Mannes abräumte und frische Wurst aus der Küche brachte. »Du konntest es ja nicht wissen«, sagte Hilda, während sie einen Frühstücksteller vor Joe auf den Tisch stellte. »Aber du weißt doch, dein Vater und ich leben schon so lange nebeneinanderher. Er interessiert sich nicht mehr wirklich für mich. Ludwig hat ihm nichts weggenommen. Und ich wollte deinen Vater auch nie verlassen. Nach so vielen Jahren lässt man den anderen nicht im Stich. Ich wollte nur ein kleines Stückchen Glück für mich.«
    »Und niemand hat je etwas gemerkt?«
    »Bis gestern nicht.«
    Joe war betroffen. Alles war nur ihre Schuld! Nun war es Hilda, die ihre Tochter beruhigen musste:
    »Das ist das Schicksal einer jeden Lüge: Irgendwann wird sie entdeckt. Das ist der Preis, den ich zahlen muss. Quäle dich nicht mit Selbstvorwürfen. Irgendwann wäre es ohnehin herausgekommen.«
    »Und jetzt?«
    »Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Ludwigs Frau ist völlig durchgedreht. Er muss jetzt pünktlich um sechs Uhr zu Hause sein. Wir werden uns wohl nicht mehr sehen können.« Danach offenbarte Hilda ihrer Tochter die ganze Geschichte mit Huber. Sie sprach darüber, wann sie sich das allererste Mal allein getroffen hatten; sie erzählte von dem kleinen Café, in dem sie immer am hintersten Tisch in einer versteckten Nische gesessen hatten, von Ausflügen, von Blumen, die er ihr stets geschenkt hatte, und sogar, dass er ihr wunderschöne Wäsche aus feinster Spitze gekauft hatte. Er liebte es, wenn Hilda ihren Körper auf so erotische Weise präsentierte. Während die Worte für Hilda eine Befreiung waren, legten sich ihre Geständnisse wie eine Last auf Joes Herz. Es quälte sie, diesen intimen Ausführungen zuzuhören, denn sie saßen zwar wie Freundinnen gemeinsam am Frühstückstisch, doch Hilda war nicht ihre Freundin. Sie war ihre Mutter, die sie geboren und die für sie gesorgt hatte. Joe wollte nicht hören, in welcher Wäsche ein Mann sie sexy fand. Mütter sollten nicht so zu ihren Töchtern sprechen, befand Joe. Ihre Welt stand nun Kopf, und sie hätte alles darum gegeben, wenn sie sie wieder hätte gerade rücken können. Ach, hätte sie diese Webpage nur niemals ins Leben gerufen!
    »Und was wird jetzt mit dir und Paps?«, fragte Joe wieder.
    »Für deinen Vater war das ein Schock. Er muss das erst einmal verarbeiten.«
    Joe schluckte. Auf einmal hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand auf, denn es drängte sie aus der Wohnung, hinunter in das Büro, da sie vermutete, dass ihr Vater dorthin verschwunden war. Bevor sie ging, umarmte sie ihre Mutter aber. »Du musst deinem Herzen folgen«, sagte Joe leise, obwohl es ihr schwer fiel. Doch sie wollte ihrer Mutter das Gefühl geben, als hätte sie sie verstanden, obwohl sie in Wahrheit noch weit davon entfernt war.
    »Folgst du deinem Herzen?«, gab ihre Mutter zurück.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Joe ehrlich.
    »Dazu gehört Mut. Wir sind gewohnt, alles im Leben zu planen. Nur mit der Liebe geht das nicht. Die Liebe lässt sich weder erzwingen noch planen.«
    Als Joe ihre Mutter wieder allein mit ihrem Kummer ließ, hatte sie das Gefühl, erst jetzt wirklich erwachsen geworden zu sein.
    Die Tür aus hellem Eichenholz, die zum Büro ihres Vaters führte und sonst immer weit geöffnet war, war heute geschlossen. Joe wollte gerade anklopfen, als sie ein Geräusch vernahm, das sie entsetzt innehalten ließ. Durch die Tür vernahm sie leises Schluchzen. Das Unvorstellbare war deutlich zu hören: Ihr Vater weinte.
    Joe hatte ihn noch nie weinen gehört. Einen Moment lang starrte sie auf die Maserung des Holzes, fühlte sich kraftlos und überfordert. Dann atmete sie tief durch, nahm all ihren Mut zusammen und klopfte an die Tür. Der dumpfe Ton schnitt das leise Schluchzen ab. Stille trat ein. Vorsichtig öffnete Joe die Tür. Der Anblick ihres Vaters schnürte ihr die Kehle zu. Er saß vorn übergebeugt an seinem wuchtigen Schreibtisch und machte sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu heben, der auf seinen Armen lag.
    »Paps«, begann Joe zaghaft. In dieser Sekunde hätte sie ihn am liebsten spontan in den Arm genommen. Ihn so verzweifelt zu sehen, brach ihr schier das Herz, denn die Fassade des dominanten Chefs war plötzlich von ihm abgefallen.
    Krampfhaft suchte sie nach

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