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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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dunkle Hengste griffen den Kommissar sogar an, und nur mit Mühe konnte er sie mit den Zinken der Heugabel abwehren.
    » Diese verdammten Ungeheuer!«, schrie Bartók, der sich unter den riesigen Hufen einer vor Wut kreischenden, sich aufbäumenden Bestie duckte und sich über das vergilbte Gras rasch davonrollte. » Sie wollen uns umbringen!«
    Mattim stand auf der oberen Latte des Holzzauns, sprachlos. Die Pferde waren entartet, verändert, und trotzdem, so machte er sich klar, waren es immer noch Pferde. In der Gruppe gab es ein Leittier, einen Hengst, dem sie folgten, den sie als Leitwolf betrachteten– denn die Wölfe hatten sie gebissen, und nun floss auch durch ihre Adern das Erbe der Schattenwölfe.
    Rasch überprüfte er die Schattentiere, die auf den Durchgang zuströmten, darunter eine Gruppe Stuten mit wild rollenden Augen, aggressiv und bösartig. Und der riesige Rappe ganz in seiner Nähe war der Größte und Wütendste von allen. Möglicherweise rührte sein Frust daher, dass er nicht an der Spitze galoppierte, dass er den anderen nicht seinen Willen aufzwingen konnte. An den Zaun gedrückt kämpfte er um seine Freiheit, zusammen mit einem Dutzend anderer Pferde– alle in verschiedenen Grau- und Schwarztönen–, die sich durch die Lücke zwängen wollten.
    Mattim griff in die Mähne des Schwarzen und schwang sich auf seinen Rücken. Sofort warf das Tier den Kopf zurück, starrte ihn mit glühenden Augen an und bleckte die Zähne. Nie hatte er ein Pferd so schreien gehört, nur aus Wut und Wildheit. Aus den sensiblen Fluchttieren waren aggressive, raubtierähnliche Wesen geworden, deren Hass ihm entgegenschlug, als er sich eines von ihnen bemächtigte.
    Eingekeilt zwischen den anderen Pferdeleibern konnte der Schwarze weder buckeln noch steigen. Mattim nutzte die wenigen Sekunden, die ihm blieben, bevor das Tier sich einen Durchgang erkämpft hatte, um sich mit dem Dolch rasch in die Handfläche zu schneiden und dem Pferd das Blut vor die Nüstern zu halten. Augenblicklich erbebte es, und selbst als die anderen an ihm vorbeistürmten, blieb es stehen und stemmte sich gegen die Flut der kräftigen Leiber. Es witterte, zögerte.
    Mattim beugte sich weit über den mächtigen Hals nach vorn und strich dem Rappen sein Blut auf die bebende Schnauze.
    Die anderen Tiere galoppierten unterdessen davon. Bartók schrie irgendetwas, doch Mattim konzentrierte sich in diesem Moment nur auf das zitternde Schattenpferd.
    » Licht über der Ebene«, sagte er leise. » Die Sonne geht auf, die Gräser wiegen sich im Wind. Riechst du es? Das ist das wahre Leben. Du weißt es, du erinnerst dich.«
    Er hätte nicht erklären können, woher er wusste, dass das Pferd ihn nicht beißen würde, dass sein Blut es nicht in Raserei versetzen, sondern besänftigen konnte. Vielleicht erinnerte er sich an das, was Hanna zu ihm gesagt hatte: Du schmeckst nach Magyria. Nach dem Wald und dem Gras und Träumen im Licht …
    » Ihnen nach«, sagte er, denn die anderen Pferde zerstreuten sich bereits.
    Bartók rappelte sich gerade auf. » Wir müssen verschwinden!«, rief er. » Die Pferde rennen durchs Tor in die Stadt, in wenigen Minuten wird es hier von Schatten nur so wimmeln!«
    » Vermutlich suchen sie ihren alten Stall«, meinte Mattim. » Oder das Licht in Akink, wie alle Schatten vor ihnen. Was wissen wir schon, was in ihren Köpfen vor sich geht? Machen Sie, dass Sie hier verschwinden, mein Freund. Kunun darf nicht mal ahnen, dass Sie mich hergebracht haben.«
    » Was hast du vor? Komm mit, bevor sie dich schnappen!«
    Mattim schüttelte den Kopf. » Ich brauche mehr als eins. Bis bald, wir sehen uns!«
    Tief über die Mähne des Rappen gebeugt jagte er den anderen Pferden nach.
    In der Dunkelheit war die Stadt kaum mehr als ein schwarzer Umriss gewesen, eine dunkle Präsenz. Jetzt rückte sie näher, während er den Schattenpferden nachsetzte, auf das weit geöffnete Tor zu. Er musste nur dem Geschrei folgen, dem Donnern der Hufe auf den Pflastersteinen.
    » Schneller!«
    Der Rappe streckte sich, griff weiter aus. Die Tiere würden sich in den verwinkelten Gassen der Stadt verlieren, wenn er es nicht verhinderte. Genau das hatte er vor.
    Schon erreichten sie die letzten Pferde. Mattim schrie, und die Grauen antworteten ihm mit einem Kreischen, das nur wenig mit normalem Wiehern zu tun hatte. Der Rappe biss nach den anderen, drängte sie ab und zog an ihnen vorbei, und tatsächlich folgten sie ihm.
    Sie donnerten durch die

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