Der Traum des Schattens
Haus und unseren Garten und nicht an Kunun. An Mama und Attila …
Dann gab das Wasser unter ihren Füßen nach und öffnete sich, als wäre sie ein Keil, der in morsches Holz geschlagen wird. Lichtfünkchen tanzten auf. Sie wartete auf das Feuer… doch um sie herum blieb es nass und kalt. Übelriechendes Wasser drang ihr in die Nase– von der Sommerhitze verdichtete Brühe.
Réka hielt ganz still, während sie auf den Tod wartete. Sie sank tiefer hinein in die Dunkelheit, bis ihr die Frage in den Sinn kam: Warum ist es so finster? Müsste es nicht heller und heller werden, hier auf dem Grund?
Versuchsweise bewegte sie die Arme und Beine, dann durchbrach sie erneut die Wasseroberfläche, und über ihr waren wieder die Brücke und der Himmel, beide unbeeindruckt.
» Réka, ich bin hier.« Ein blonder Schopf ragte über dem Grau des Wassers empor, ein vertrautes Gesicht, während die Welt um sie herum kalt und feindselig schien.
» Mattim? Wo kommst du denn her?«
Sie klammerte sich an ihn, sodass sie zusammen unter Wasser tauchten. Die Strömung zerrte an ihnen, doch Mattim hielt Réka fest und schwamm mit ihr in Richtung Ufer.
» Ich will nicht sterben«, weinte sie. » Ich wollte nicht sterben!«
» Ich weiß«, sagte er.
» Ich hasse ihn. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Trotzdem bringe ich es nicht fertig, ihm wehzutun! Nicht einmal das! Wenn ich mich vor ihn stellen und auf ihn einschlagen würde– er würde es gar nicht merken. Nicht einmal zu sterben habe ich geschafft. Interessiert es ihn überhaupt, ob ich lebe oder tot bin?« Dann lachte sie wieder hysterisch. » Niemand bleibt bei mir. Sogar Wilder hat mich verlassen.«
» Wilder hat den Kommissar gebissen«, erklärte Mattim, » und ist mit ihm durch die neue Pforte nach Magyria geraten. Er konnte gar nicht zu dir zurück, jedenfalls nicht ohne einen Schatten, der ihm hilft. Glaub mir, Wilder hätte es interessiert, was du vorhast, so wie mich. Genau wie deine Mutter, deinen Bruder und deinen Vater. Verdammt, Réka, was machst du denn bloß?«
Sie erreichten das Ufer. Er zog Réka auf einen Vorsprung, von dem aus Stufen nach oben führten. Bartók stand da, kopfschüttelnd, doch er machte ihr keine Vorwürfe, sondern setzte sich ein Stück weiter oben hin und wartete stumm.
» Das Wasser der Donau wirkt nicht mehr tödlich«, sagte Mattim.
» Ich hab’s gemerkt.« Réka kicherte. Das Ganze kam ihr auf einmal unerträglich komisch vor.
» Du weißt, was das bedeutet, oder? In Magyria hat der Donua aufgehört zu leuchten. Bald wird die Dunkelheit über Magyria kommen und Magyria über diese Stadt hier, es wird aus allen Löchern herausfließen wie Wasser durch eine undichte Zimmerdecke… und dann? Letztendlich wissen wir nicht, wie die Sache ausgehen wird. Budapest wird vermutlich zerstört werden. Ob der Rest der Welt in Mitleidenschaft gezogen wird oder das Fremde abschüttelt und weitermacht wie bisher– wer kann das sagen?«
Réka zupfte ein paar Algen aus ihren Haaren. » Was tun wir jetzt?«
» Ich weiß nicht, was du vorhast. Ich jedenfalls mache weiter.« Er langte in die Tasche und zog ein durchweichtes Papierknäuel heraus. » Das hier hat außer mir noch keiner gelesen. Am besten, du zerreißt es, so wie du es mit den Fotos gemacht hast.«
» Du warst in meinem Zimmer? Warum?«
Bartók war aufgestanden, er winkte. » Kommst du jetzt endlich, du edler Retter der Witwen und Waisen? Wir haben keine Zeit, um kleine, verloren gegangene Schatten zu trösten.«
Ein müdes Lächeln zog über Mattims Gesicht. Er sah reichlich angeschlagen aus, wie ihr nun erst auffiel. Erschöpft, durchweicht, aber in seinen Augen brannte etwas, das sie beunruhigte. So dunkel diese Tage auch waren, so viel Finsternis sich in beiden Welten ausbreitete, da spielte immer dieses kleine Lächeln um seine Mundwinkel, da war immer etwas in ihm, das der Dunkelheit trotzte. Es kam Réka vor, als wäre dieses Etwas nie deutlicher zu sehen gewesen.
Quasi im Vorbeigehen hatte sie ihn verraten. Zwei Mal.
» Es tut mir leid«, sagte sie. » Erst habe ich dich zu Kunun gebracht, und später habe ich auch noch eure Liebe verraten. Aber er hat mir nicht geglaubt.«
» Ich bin es gewöhnt, von Verrätern umgeben zu sein«, sagte Mattim ohne Zorn. » Du hattest sicher deine Gründe.« Dann stutzte er und hakte nach: » Was soll das heißen, du hast unsere Liebe verraten?«
» Ich habe ihnen gesagt, was zwischen dir und Hanna läuft. Atschorek hat mir
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