Der Traum
Willens zu sein, ich tat alles mögliche und war verwundert und erschrocken über das, was ich tat ... Als ich wegen des Auftrags für diese Mitra zu Ihnen kam, trieb mich eine Kraft, denn ich, ich hätte es nicht gewagt, ich war sicher, daß ich Ihnen mißfallen würde ... Wenn Sie nur verstünden, wie elend ich bin! Lieben Sie mich nicht, doch dulden Sie, daß ich Sie liebe. Seien Sie kalt, seien Sie boshaft, ich werde Sie lieben, so wie Sie sind. Ich verlange nichts weiter von Ihnen, als Sie zu sehen, ohne jegliche Hoffnung, einzig um der Freude willen, so zu Ihren Füßen zu liegen.«
Er schwieg, ihn verließen die Kräfte, und er verlor allen Mut, weil er glaubte, ihm würde nichts einfallen, sie zu rühren. Und er spürte nicht, daß sie lächelte, ein unbezwingliches Lächeln, das nach und nach auf ihren Lippen gewachsen war.
Ach, der liebe Junge! Er war so kindlich und so gläubig, er sagte da sein Gebet her, das Gebet eines im Lieben ganz unerfahrenen, leidenschaftlichen Herzens, war in Anbetung versunken vor ihr wie vor dem Traum seiner Jugend! Wenn man bedachte, daß sie zunächst gekämpft hatte, um ihn nicht wiederzusehen, daß sie sich dann geschworen hatte, ihn zu lieben, ohne daß er es jemals erführe! Tiefe Stille war eingetreten, die Heiligen verboten es gar nicht zu lieben, wenn man so liebte. Hinter ihrem Rücken war ein froher Schimmer entlanggehuscht, kaum ein Schauer, die unstete Welle des Mondenscheins auf dem Fliesenboden des Zimmers. Ein unsichtbarer Finger, ohne Zweifel der Finger ihrer Hüterin, legte sich auf ihren Mund, um das Siegel ihres Schwures von ihm zu nehmen. Sie konnte von nun an sprechen, alles, was an Mächtigem und Zärtlichem sie umschwebte, hauchte ihr Worte zu.
»Ach ja, ich erinnere mich, ich erinnere mich ...«
Und Félicien war sogleich von der Musik dieser Stimme gefangengenommen, die einen so starken Zauber auf ihn ausübte, daß seine Liebe noch größer wurde, sobald er sie nur hörte.
»Ja, ich erinnere mich, wie Sie in der Nacht gekommen sind ... Sie waren so weit entfernt an den ersten Abenden, daß das leise Geräusch Ihrer Schritte mich im Ungewissen ließ. Dann habe ich Sie erkannt, und ich habe später Ihren Schatten gesehen, und eines Abends schließlich haben Sie sich gezeigt, in einer schönen Nacht wie dieser heute, mitten im weißen Licht. Sie traten langsam aus den Dingen hervor, so wie ich Sie seit Jahren erwartete ... Ich erinnere mich an das unbändige Lachen, das ich zurückhielt, das gegen meinen Willen herausgeplatzt ist, als Sie jenes Wäschestück gerettet haben, das vom ChevrotteBach fortgespült wurde. Ich erinnere mich an meinen Zorn, als Sie mir meine armen Leute wegnahmen, indem Sie ihnen so viel Geld gaben, daß es aussah, als sei ich geizig. Ich erinnere mich an meine Angst an dem Abend, als Sie mich gezwungen haben, so schnell mit bloßen Füßen durchs Gras zu laufen ... Ja, ich erinnere mich, ich erinnere mich ...« Ihre kristallene Stimme hatte sich in dem Erschauern bei dieser letzten Erinnerung, die sie heraufbeschworen, ein wenig verwirrt, als wäre jenes »Ich liebe Sie!« von neuem über ihr Antlitz dahingegangen.
Und er hörte ihr mit Entzücken zu.
»Ich bin häßlich gewesen, das ist schon wahr. Man ist so dumm, wenn man nichts weiß! Man tut Dinge, die man für notwendig hält, man hat Angst, etwas Falsches zu tun, sobald man seinem Herzen gehorcht. Doch was habe ich dann für Gewissensbisse gehabt, was habe ich unter Ihrem Leid gelitten! – Wenn ich das erklären wollte, könnte ich es bestimmt nicht. Als Sie mit Ihrem Entwurf von der heiligen Agnes kamen, war ich entzückt, für Sie zu arbeiten, denn ich ahnte wohl, daß Sie jeden Tag wiederkommen würden. Und sehen Sie nur, ich habe Gleichgültigkeit geheuchelt, als hätte ich es darauf angelegt, Sie aus dem Haus zu verjagen. Man hat also das Bedürfnis, sich unglücklich zu machen? Während ich Sie mit offenen Händen hätte empfangen wollen, war da in der Tiefe meines Wesens eine andere Frau, die sich empörte, die Ihnen gegenüber Furcht und Mißtrauen hegte, die sich darin gefiel, Sie mit Ungewißheit zu quälen, in der unbestimmten Vorstellung, daß es einen Streit auszutragen galt, dessen sehr weit zurückliegende Ursache sie vergessen hatte. Ich bin nicht immer gut, es kommen in mir Dinge zum Vorschein, die ich nicht kenne ... Und das schlimmste ist gewiß, daß ich von Geld zu Ihnen gesprochen habe. Ach, das Geld, ich, die ich niemals an Geld gedacht habe,
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