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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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murmelte das wie im Traum. Dann zerriß es ihr das Herz, sie schrie: »Er lügt also! Er hat es mir nicht gesagt.«
    Sie erinnerte sich, wie Félicien kurz gezögert, wie eine Woge Blut seine Wangen purpurn gefärbt hatte, als sie von ihrer Heirat zu ihm gesprochen. Die Erschütterung war so heftig, daß ihr Haupt, aus dem jede Farbe gewichen, auf die Schulter ihrer Mutter glitt.
    »Mein Herzchen, mein liebes Herzchen ... Das ist recht grausam, ich weiß es. Aber wenn du wartest, würde es noch grausamer sein. So reiß denn das Messer gleich aus der Wunde ... Wiederhole dir immer wieder, jedesmal wenn dein Weh erwacht, daß der hochwürdigste Herr Bischof, der schreckliche Johann XII., an dessen unbeugsamen Stolz sich die Welt, so scheint es, immer noch erinnert, seinen Sohn, den Letzten seines Geschlechts, niemals einer kleinen Stickerin geben wird, die unter einer Tür aufgelesen und von armen Leuten wie wir an Kindes Statt angenommen wurde.«
    Einer Ohnmacht nahe, hörte Angélique das wohl, lehnte sich aber nicht mehr dagegen auf. Was hatte sie über ihr Gesicht streifen fühlen? Ein kalter Hauch, der von fernher über die Dächer gekommen war, ließ ihr Blut zu Eis erstarren. War es jenes Elend der Welt, jene traurige Wirklichkeit, von der man zu ihr sprach, wie man zu den ungezogenen Kindern vom Wolf spricht? Es hinterließ einen Schmerz in ihr, auch wenn sie nur leicht davon berührt worden war. Doch schon entschuldigte sie Félicien: Er hatte nicht gelogen, er war nur stumm geblieben. Wenn sein Vater ihn mit diesem jungen Mädchen verheiraten wollte, so würde er das ohne Zweifel ablehnen. Doch er wagte noch nicht, den Kampf aufzunehmen; und da er nichts gesagt, so vielleicht deshalb, weil er sich gerade dazu entschlossen hatte. Sie war erblaßt angesichts dieses ersten Einstürzens ihrer Hoffnungen, kaum daß der harte Finger des Lebens sie berührte, blieb aber noch immer vertrauensvoll, sie verlor dennoch nicht den Glauben an ihren Traum. Er würde in Erfüllung gehen, nur ihre Hoffart war zu Boden geschmettert, sie fiel in die Demut der Gnade zurück.
    »Mutter, es ist wahr, ich habe gesündigt, und ich werde nicht mehr sündigen ... Ich verspreche Euch, mich nicht wieder aufzulehnen und so zu sein, wie es der Himmel von mir verlangt.«
    Es war die Gnade, die aus ihr sprach, der Sieg blieb der Umgebung, in der sie herangewachsen, der Erziehung, die sie genossen hatte. Warum sollte sie zweifeln am kommenden Tag, da doch bisher alles, was sie umgab, sich ihr gegenüber so großmütig und so liebevoll gezeigt hatte. Sie wollte die Klugheit der Katharina, die Bescheidenheit der Elisabeth, die Keuschheit der Agnes bewahren, gestärkt durch den Beistand der Heiligen, gewiß, daß allein sie ihr zum Siege verhelfen würden. Würden nicht die Kathedrale, ihre alte Freundin, der ClosMarie und der Chevrotte Bach, das kühle Häuschen der Huberts, die Huberts selber, alles, was sie liebte, sie verteidigen, ohne daß sie selbst zu handeln brauchte, nur indem sie gehorsam und rein blieb?
    »Also du versprichst mir, daß du niemals etwas gegen unseren Willen tun wirst, und vor allem nicht gegen den Willen des hoch würdigsten Herrn Bischof?«
    »Ja, Mutter, ich verspreche es.«
    »Du versprichst mir, niemals diesen jungen Mann wiederzusehen und nicht mehr an diese Tollheit zu denken, ihn zu heiraten.«
    Da wurde ihr Herz schwach. Eine letzte Auflehnung hätte sie beinahe in Wallung gebracht und ihre Liebe hinausschreien lassen. Dann senkte sie, endgültig bezwungen, den Kopf.
    »Ich verspreche, nichts zu tun, um ihn wiederzusehen und ihn zur Heirat zu drängen.«
    Sehr bewegt preßte Hubertine sie zum Dank für ihren Gehorsam verzweifelt in ihre Arme. Ach, welch ein Elend! Das Gute zu wollen und dabei denjenigen Leid zu bereiten, die man liebt! Sie war zerschlagen, sie erhob sich, überrascht vom zunehmenden Tageslicht. Das leise Gezwitscher der Vögel war stärker geworden, ohne daß man schon einen einzigen fliegen sah. Am Himmel flossen die Wolken im durchsichtigen Erblauen der Luft wie Gazeschleier auseinander.
    Und Angélique, deren Blicke unwillkürlich auf ihren wilden Rosenstock gefallen waren, bemerkte ihn jetzt endlich mit seinen kümmerlichen Blüten. Sie ließ ein trauriges Lachen vernehmen.
    »Ihr hattet recht, Mutter, er wird nicht so bald edle Rosen tragen.«
     

Kapitel X
    Am Morgen war Angélique wie gewöhnlich um sieben Uhr bei der Arbeit; und die Tage folgten aufeinander, und jeden Morgen machte

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