Der Traum
sie sich sehr ruhig wieder an das am Abend zuvor liegengelassene Meßgewand. Nichts schien verändert, sie hielt streng ihr Wort, schloß sich klösterlich ein, ohne danach zu trachten, Félicien wiederzusehen. Das schien sie nicht einmal traurig zu stimmen, sie behielt ihr heiteres, jugendfrisches Gesicht und lächelte Hubertine zu, wenn sie sie dabei überraschte, wie sie erstaunt die Augen auf ihr ruhen ließ. Dennoch dachte sie in diesem absichtlichen Schweigen den ganzen Tag nur an ihn. Ihre Hoffnung blieb unbesiegbar, sie war sicher, daß ihr Traum trotz allem in Erfüllung gehen werde. Und diese Gewißheit verlieh ihr die so aufrechte und so stolze, mutige Haltung.
Hubert schalt manchmal mit ihr.
»Du arbeitest zuviel, ich finde, du bist ein bißchen blaß ... Schläfst du wenigstens gut?«
»Oh, Vater, wie ein Murmeltier! Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt.«
Doch auch Hubertine machte sich Sorgen und sagte, man solle einmal etwas zur Zerstreuung unternehmen.
»Wenn du willst, schließen wir das Haus ab und machen alle drei eine Reise nach Paris.«
»Ach, warum nicht gar! Und die Bestellungen, Mutter? – Wenn ich Euch doch sage, daß gerade die viele Arbeit mich gesund erhält!«
Im Grunde wartete Angélique einfach auf ein Wunder, auf irgendeine Offenbarung des Unsichtbaren, die sie Félicien zur Frau geben würde. Da sie außerdem versprochen hatte, keinen Versuch zu unternehmen, wozu sollte sie handeln, da doch das Jenseits immer für sie handelte? Und während sie aus freien Stücken untätig verharrte und gleichgültig tat, spitzte sie ständig die Ohren, lauschte auf die Stimmen, auf das, was rings um sie bebte, auf die vertrauten kleinen Geräusche dieser Umgebung, in der sie lebte und die ihr zu Hilfe kommen würde. Etwas mußte notwendigerweise geschehen. Bei geöffnetem Fenster über ihren Stickrahmen gebeugt, entging ihr kein Rauschen der Bäume, kein Murmeln des ChevrotteBaches. Die leisesten Seufzer der Kathedrale drangen zu ihr, und in ihrer gespannten Aufmerksamkeit vernahm sie sogar das Schlurfen der Pantoffeln des Kirchendieners, der die Kerzen auslöschte. Wieder spürte sie, wie geheimnisvolle Flügel ihre Seite streiften, wieder wußte sie, daß das Unbekannte ihr beistand; und es kam vor, daß sie sich plötzlich umwandte in dem Glauben, ein Schatten hätte ihr ein Mittel zum Sieg ins Ohr gestammelt. Doch die Tage vergingen, noch immer ereignete sich nichts.
Um ihren Schwur nicht zu brechen, vermied es Angélique zunächst des Nachts, sich auf den Balkon zu stellen, weil sie fürchtete, wieder zu Félicien zu gehen, wenn sie ihn dort unten erblickte. Sie harrte hinten in ihrem Zimmer. Wenn dann selbst die Blätter, die eingeschlafen waren, sich nicht mehr regten, wagte sie sich hinaus, begann sie wieder die Finsternis zu befragen. Von wo würde das Wunder kommen? Zweifellos vom bischöflichen Garten, eine flammende Hand, die ihr ein Zeichen geben würde, daß sie kommen solle. Vielleicht von der Kathedrale aus, wo die Orgel brausen und sie zum Altar rufen würde. Nichts hätte sie überrascht, weder die Tauben aus der »Legenda aurea«, die Worte des Segens herbeibrachten, noch das Einschreiten der Heiligen, die durch die Wände hereinkamen, um ihr zu verkünden, daß der Bischof sie kennenlernen wolle. Und nur über eines wunderte sie sich jeden Abend mehr: mit welcher Langsamkeit das Wunder sich vollzog.
Ebenso wie die Tage folgten die Nächte aufeinander, und noch immer zeigte sich nichts, nichts.
Was Angélique nach der zweiten Woche noch mehr verwunderte, war, daß sie Félicien nicht wiedergesehen hatte. Sie war die Verpflichtung eingegangen, nichts zu versuchen, um sich ihm zu nähern; doch ohne es zu sagen, rechnete sie damit, daß er alles tun würde, um sich ihr zu nähern; und der ClosMarie blieb leer, Félicien schritt nicht einmal mehr durch das wild wuchernde Gras. Nicht ein einziges Mal in vierzehn Tagen hatte sie in den nächtlichen Stunden seinen Schatten wahrgenommen. Das erschütterte ihren Glauben nicht: wenn er nicht kam, so deshalb nicht, weil er sich um ihrer beider Glück bemühte. Ihre Verwunderung nahm jedoch zu, und Unruhe ergriff sie.
Eines Abends schließlich, als Hubert nach dem Abendessen, das bei den Stickern traurig verlief, unter dem Vorwand einer eiligen Besorgung aus dem Haus ging, blieb Hubertine allein mit Angélique in der Küche. Lange schaute sie sie mit feuchten Augen an, gerührt durch ihren schönen Mut. Seit vierzehn Tagen
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