Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
Rentenversicherung und sonst noch überall her in einer Mappe. Bernhard hatte sich eifrig einen Anwalt genommen. Emilia ließ es bleiben. Ein Anwalt für eine Partei reichte, wenn man nicht vorhatte, sich zu streiten. Und Emilia hatte das nicht vor. Sie staunte nur über den gewaltigen Papierkram. Sie schlussfolgerte, dass der positive Effekt der angeblich zu hohen Scheidungsrate in Deutschland absolut unterschätzt wurde. Wie es aussah, sicherte er vielen Menschen in verschiedenen Büros Arbeitsplätze.
Zuerst mussten sie ein Scheidungsjahr abwarten. Danach konnte es noch ein halbes Jahr dauern, bis es zum Scheidungstermin beim Gericht kam. Bernhard war bis dahin unterhaltsverpflichtet, aber Emilia hatte genug eigenes Geld. Jetzt war Bernhard froh, dass sie ihre Bewerbung bei Ikea einfach durchgezogen hatte. Bernhards neue Frau war längst in die ehemalige, gemeinsame Wohnung eingezogen. Von außen hatte Emilia gesehen, dass ihre bunten Vorhänge, die sie vor Jahren genäht und bestickt hatte, nicht mehr an den Fenstern hingen. Es gab auch keine Blumen auf dem Balkon. Ernsthaft arbeitende Soziologen hatten wohl keine Zeit für die Blumenpflege, lästerte Emilia heimlich.
Einmal klingelte Emilia spontan an ihrer alten Wohnung, auch wenn sie immer noch Angst vor der eventuellen Begegnung mit der Neuen hatte. Ein paar Dinge vermisste Emilia: ihr rotes Küchensieb mit den weißen Punkten aus Emaille, den kleinen Korb, in den sie Jo als Baby manchmal zum Schlafen gelegt hatte und den bunten Vorhang konnten sie ihr doch überlassen, wenn er keine Verwendung mehr fand. Vielleicht sollte sie sich nicht vor sich selbst herausreden, sondern sich einfach holen, woran ihr Herz hing und sich gleichzeitig ihrer Angst stellen. Am Schluss wäre sie wieder ein Stück freier.
Der Summer ging und Emilia öffnete die Haustür. Der vertraute Geruch des Hausflurs schlug ihr entgegen. Nichts konnte die Vergangenheit stärker konservieren als Gerüche. Einen Moment lang fühlte Emilia sich schwindlig. Dann straffte sie sich. Irgendwann ging jede Vergangenheit vorbei. Das war nun mal so. Sie stieg die Treppen hinauf und hoffte insgeheim, dass Bernhard ihr öffnen würde. Aber es war eine kleine etwas rundliche Frau, die an der Tür erschien. Emilia überragte sie um einen Kopf. Sie hatte schwarze, etwas stechende Augen. Und sie hatte große Brüste. Genau das, was Bernhard immer an Emilia gefehlt hatte. Vielleicht war das sogar der schleichende Anfang vom Ende gewesen, als Bernhard sie vor drei Jahren gefragt hatte, ob sie sich eine Brust-OP vorstellen könnte. Emilia war aus allen Wolken gefallen und hatte vehement abgelehnt und Bernhard hatte nicht mehr damit angefangen. Wie es aussah, hatte er sich seinen Traum nun doch noch verwirklicht.
„Hallo, ich bin Emilia.“
„Dachte ich mir, von den Fotos.“ Victoria lächelte verlegen, ließ die Tür aber nur einen Spalt breit offen.
„Ich kam zufällig vorbei und wollte nur fragen … zwei Dinge, naja, an denen mein Herz hängt.“ Ehe Emilia genauer beschreiben konnte, was sie wollte, brachte Victoria den Korb zum Vorschein, der längst neben der Tür gestanden hatte, mit dem Küchensieb und noch ein paar anderen Kleinigkeiten.
„Hier. Habe schon alles zusammengesucht.“
Emilia nahm den Korb und fühlte sich einen Moment schwindelig. Irgendwie wäre es ihr lieber gewesen, die Dinge hätten noch an ihrem Platz gestanden. Sie standen aber nicht mehr an ihrem Platz. Das Leben von Emilia gab es hinter dieser Tür nicht mehr.
„Ist noch was?“
Emilia dachte an die Vorhänge.
„Die … äh … nein. Danke. Das ist nett. Danke, dass ihr es nicht weggeworfen habt. Danke.“
„Schon gut.“
Victoria machte Anstalten, die Tür zu schließen.
„Auf Wiedersehen“, murmelte Emilia zurück. Dabei wollte sie Victoria nicht wiedersehen. Victoria sagte nichts zum Abschied. Die Tür fiel mit einem endgültigen Geräusch ins Schloss.
Nach dieser Begegnung sehnte sich Emilia zum ersten Mal so stark nach einer neuen Liebe, nach jemandem, der zu ihr gehören würde und sie zu ihm, dass sie trübsinnig bei ihrem ersten Glas Wein seit langem abends auf dem Balkon saß und darüber nachdachte, wie sie diesen Jemand kennenlernen könnte. Hilda riet ihr natürlich davon ab, aktive Schritte zu unternehmen. Emilia sollte warten, bis die Scheidung durch sei. Sie sollte ihre Unabhängigkeit erst mal richtig genießen lernen. Die Therapeutin riet Emilia das Gleiche. Emilia wusste nach ihrem
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