Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
die Praxisgebühr mitbringen. Geht denn auch vormittags? Ich hätte noch was für Freitag um 10 Uhr?!“
„Äh ja, das ist okay.“
Das war gar nicht okay. Emilia musste mehr wissen. Die Schwester schrieb augenscheinlich nur einen Termin in ihr dickes Bestellbuch. Aber das hieß noch nicht, dass er wirklich eine Brücke hatte, eine Brücke für vier Vorderzähne.
„Gut, dann sehen wir uns am Freitag. Auf Wiederhören.“
„Äh, Moment, also, sie wissen, die Brücke vorne.“
„Das kann er dann alles mit der Ärztin besprechen.“
„Ja, aber er wollte vorab wissen, wie lange es her ist, dass die Brücke das letzte Mal gemacht wurde. Also, er weiß das nicht mehr und…“
„Moment, dann verbinde ich mal…“
In der Leitung erklang eine Melodie. Emilia fühlte sich schwindelig und setzte sich. Sollte sie so weit gehen und mit seiner Ärztin sprechen oder lieber schnell auflegen? Sie hatte den Finger bereits an der roten Taste, da hörte sie die tiefe und beruhigende Stimme einer älteren Frau:
„Dr. Mietratz. Wo brennt‘s denn?“
„Ja, also hier ist Jareis. Ich rufe für meinen Mann, Herrn Weingarten, an. Sie wissen schon, er drückt sich da immer selbst drum. Aber er hat ziemliche Probleme mit seiner Brücke….“
„Ah, ja, ja … der Fahrradunfall zu wilden Jugendzeiten…die vier Zähne vorne. Ich sehe, die hatten wir ja grad erst neu gemacht … Kontrolle ist aber erst drei Wochen her … und jetzt sind Beschwerden aufgetaucht?“
„Ja, ja…“
„Also, wenn‘s akut ist, soll er doch einfach sofort kommen, in Ordnung Frau Weingarten?“
„Äh, ja…“
Emilia konnte nicht mehr. Die Anspannung drohte sie zu zerreißen. Sie legte einfach auf. Frau Weingarten … Jemand hatte sie Frau Weingarten genannt. Auch wenn Emilia ihren eigenen Namen nie abgeben würde - das hatte sie auch nicht bei ihrer Hochzeit getan, dann würde sie jetzt Kalkwatze heißen und nicht mehr Liebig - Frau Weingarten , wie das klang…!
Emilia saß auf dem Küchenstuhl, kringelte mit ihrem roten Stift zigmal um die Zahnarztadresse von Miguel Weingarten im Pankower Wegweiser herum, bis sie einen dicken roten runden Rahmen hatte und konnte es kaum glauben. So mussten sich erfolgreiche Detektive fühlen. Das musste der Reiz an diesem Beruf sein. Sie hatte enorm viel herausgefunden. Und das viel schneller als gedacht. Weingarten hieß Miguel und hatte auf tragische Weise bei einem Fahrradunfall in der Jugendzeit vier seiner Vorderzähne verloren. Sie sah ihn vor sich, jung und schlaksig, auf einem achtziger Jahre-Rad, übermütig den Berg hinunter rasen, dann ein Auto, er überschlägt sich in der Luft, landet mit dem Mund auf der Stange, die Sirene des Krankenwagens, viel Blut.
Emilia kamen die Tränen. Glück im Unglück, es hätte viel schlimmer kommen können! Er hätte querschnittsgelähmt oder sogar tot sein… Emilia richtete sich ruckartig auf. Sie war dabei, sich in die völlig unbekannte Vergangenheit eines völlig unbekannten Familienvaters hineinzusteigern. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und musste lächeln. Es war alles so verrückt, so schön verrückt. Und wie sie sich am Telefon um Kopf und Kragen geredet hatte. Oh je … Hatte Miguel tatsächlich Angst vorm Zahnarzt? Und hatte sie ihm jetzt die Praxisgebühr aufgehalst, obwohl er gar keine Beschwerden hatte? Wenn sein nächster Zahnarztbesuch nicht in weiter Ferne lag, würden sich wohl einige Fragen aufwerfen, in der Praxis und auch zuhause. Emilia beschlich ein schlechtes Gewissen. Trotzdem, das Triumphgefühl war größer. Sie holte ihr Laptop und öffnete das Emailprogramm. Montags ging Hilda nicht in die Klinik und schrieb an ihrem Ratgeber. Sie war online:
Emilia: Hier die Ergebnisse: Praxis Dr. Mietratz, es fehlen vier Zähne vorne durch einen Fahrradunfall in der Jugend. Die Brücke wurde gerade erneuert… bei Herrn MIGUEL Weingarten… NA????!!!! Was sagst du nun?!
Hilda: Wow, wie hast du das denn rausgefunden?
Emilia: Die Praxen durchtelefoniert… als Frau Jareis
Hilda: Dann ist ja alles klar, oder?!
Emilia: Finde ich auch… Jetzt würde ich nur noch gern wissen, WANN denn meine goldene Zukunft mit Herrn Weingarten beginnt?!
Hilda: Also, so meinte ich das eigentlich nicht.
Emilia: Wie dann?
Hilda: Ich nehme an, du denkst, dass die Brücke ein Beweis für den Wahrheitsgehalt der Prophezeiung ist, stimmt‘s?!
Emilia: Ja, was sonst?!
Hilda: Nimm es mir nicht übel.
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