Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
schmerzerfüllten Blick, der Emilia durch Mark und Bein ging.
„Mig…die haben Beine. Die tauchen schneller wieder bei dir auf, als du denkst“, versuchte Kay, seinen Freund zu trösten.
Miguel nickte verständig und Kay klopfte ihm tröstend auf die Schulter. Sie stiegen beide ein. Der Motor begann zu brummen. Emilia zerrte ihr Fahrrad aus der Hecke. Wenn sie nicht völlig übergeschnappt war und dadurch jeglichen Sinn für die Realität verloren hatte, dann war ihr Zukünftiger soeben zu Hause ausgezogen. Emilia versuchte, den Pritschenwagen so lange zu verfolgen, wie es nur ging. Doch als die Ampel auf der Hauptstraße auf grün schaltete, hatte sie keine Chance mehr. Die Pritsche sauste davon, Richtung Süden, in den Prenzlauer Berg. Soviel wusste sie immerhin schon mal.
Emilia blieb wie versteinert an der Kreuzung stehen. Die Fahrrad-Ampel schaltete auf rot, auf grün, auf rot, wie gewohnt und viele Male hintereinander. Ein Autofahrer wollte Emilia vorlassen. Ein Fahrradfahrer fuhr haarscharf an ihr vorbei und zeigte einen Vogel. Emilia stand einfach nur da, mit dem Vorderrad halb auf der Straße, ließ den Regen auf sich niederprasseln, starrte die Straße hinunter, auf der Miguels Mietauto vor einer Weile verschwunden war und strahlte vor sich hin. Es war so weit! Miguel war zuhause ausgezogen. Alles stimmte. Sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Die Zweifel und schlechten Gefühle zwischendurch waren völlige Energieverschwendung gewesen. Das Schicksal hatte sein Versprechen nicht vergessen. Es hatte Emilia im richtigen Moment vom Abgrund weggerissen. Emilia war nicht verrückt. Die Zukunft tat sich vor ihr auf, wie ein riesiges goldenes Tor. Sie fühlte sich lebendig wie noch nie. Als die Ampel mal wieder auf grün schaltete, schleuderte Emilia ihre nassen Pantoffeln in den Fahrradkorb und trat mit nackten Füßen in die Pedalen.
Emilia stellte ihr Fahrrad gegen das Geländer vor ihrem Haus. Im Fahrradkorb fand sie nur noch den Bügel ihres Fahrradschlosses. Das Schloss selbst hatte sie verloren. Nun ja, mit diesem Verlust ließ sich in Anbetracht der bahnbrechenden Neuigkeiten leben. Sie trug das Rad die paar Stufen zur Eingangstür hoch und stellte es auf den Hof, wo es niemand klauen konnte. Emilia erschrak im ersten Moment, als sich zwei dunkle Gestalten hinter den Fliederbusch schoben, weil das Licht im Hof durch den Bewegungsmelder anging. Aber es schien sich nur um ein knutschendes Paar zu handeln, das, aufgescheucht durch Emilia, hinter dem Fliederbusch leise kicherte. Emilia stellt ihr Rad schnell gegen die Hauswand, schnappte sich ihre Pantoffeln und wollte nicht lange stören. Auf dem ersten Treppenabsatz im Hausflur blieb sie jedoch ruckartig stehen. Die weiße Bermudas bis zum Knie und die jungen Stimmen. Und wenn das Jo war? Mit einem Mädchen, hier im Hof? Sollte sie noch mal nachgucken gehen? Nein, das konnte sie nicht tun. Hatte er sie erkannt? Wahrscheinlich nicht. Emilia schaute durch das Fenster, aber der Hof lag wieder in völliger Dunkelheit. Und wenn schon. Jo würde hoffentlich wissen, was er tat. Ihm würde nicht das gleiche passieren wie Emilia, eine verfehlte Sommerliebe, die gleich so ernste Folgen wie ein Kind hatte. Vertrau Jo mehr und Bernhard weniger, hatte Hilda gesagt. Emilia sprang die Stufen hinauf, als könnten ihre Ängste auf diese Weise nicht hinterherkommen. Jo hatte heute einfach auch seinen Glückstag. Emilia wollte seine erste Freundin auf jeden Fall bald kennenlernen.
Emilia schloss die Wohnungstür auf. Die nassen Sachen nahmen langsam die Funktion von unangenehmen Kühlkompressen an. Sie wollte jetzt nur noch unter die heiße Dusche, am besten, bevor Bernhard es schaffte, aus seinem Zimmer zu kommen und die Diskussion von vorhin wieder aufzunehmen. Doch Bernhard stand schon parat, als hätte er im Flur auf sie gelauert.
„Na, Gott sei Dank, da bist du ja. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Einfach so abzuhauen, als stände der Weltuntergang bevor. Und ohne Jacke, total unvernünftig…“
„Ich muss unter die Dusche!“, unterbrach ihn Emilia, stellte ihre nassen Hausschuhe ab und beeilte sich, ins Bad zu kommen.
„Ja, das ist nicht zu übersehen. Ich wollte aber vorher…“
„Du kannst mir einen Tee machen!“, bestimmte Emilia und hörte nur noch Bernhards ungläubige Frage „Ich?“, bevor sie die Tür hinter sich abschloss.
Emilia missachtete die Sparsamkeitsverordnung von Bernhard, den Wasserhahn immer nur halb aufzudrehen
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