Der Traurige Polizist
Bahngleisen, stand ein großes Zelt. Vor dem
Eingang des Zeltes war ein großes Banner gespannt worden. TABERNAKEL DES ERLÖSERS. GOTTESDIENSTE:
Mi. 09.00. So. 09.00, 11.00, 19.00
.
Neben dem großen Zelt stand ein Sprite Alpine Caravan von 1979, vor dem ein kleines Wohnzelt aufgebaut worden war. Auf der
Couch des Caravan, die man zu einem Doppelbett ausziehen konnte, saß Pastor Paul Jacques Coetzee. Er war damit beschäftigt,
sich auf den Gottesdienst am folgenden Abend vorzubereiten.
|368| Pastor Coetzee wußte nicht, daß über achtzig Detectives auf der Kap-Peninsula nach ihm suchten, denn er besaß keinen Fernseher
und las keine Zeitungen. »Das sind Instrumente des Teufels«, war er bei vielen seiner erregten Predigten über die Medien hergezogen.
Er versank in seine Arbeit, er hörte schon all die Sätze, die er aus der Pinienholzkanzel schleudern würde, er hörte den Refrain
seiner Predigt, die aus den Lautsprechern widerhallen würde.
Denn aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerung.
»Sergeant, ich habe hier die Informationen, die Sie wünschten«, sagte der Sekretär des Bereichsleiters der Premier Bank.
Griessel saß in seinem Büro, er hatte den Stift gezückt.
»Ich bin ganz Ohr«, sagte er.
»Von den vierzehn Namen, die Sie uns gegeben haben, haben fünf Konten bei Premier. Carstens, Geldenhuys, Milos, Rademann und
Stewart.«
»Aha«, sagte der Detective, als er fertiggeschrieben hatte.
»Carstens und Rademann sind Frauen. Von den verbleibenden drei Männern sind zwei Problemkunden.«
»Ja?«
»Milos und Stewart. Milos hat einen Dispositionskredit von 45 000 Rand, und in den vergangenen 24 Monaten hat er 16mal die vereinbarten Zahlungen nicht geleistet.«
Griessel pfiff.
»Sein Girokonto wurde eingefroren, er hat kein weiteres Konto bei uns. Rechtliche Schritte wurden bereits eingeleitet, um
zu versuchen, den ausstehenden Betrag bei ihm einzutreiben.
|369| Stewarts Wagen wurde vor zwei Monaten gepfändet, nachdem er sechs Monate in Folge nicht die monatlichen Raten von 980,76 Rand
gezahlt hat. Seine Schecks und die Kreditkarte wurden ebenfalls eingefroren. Er hat noch ein Sparbuch bei uns. Darauf sind
543,80 Rand.«
Griessel schrieb alles auf.
»Sergeant«, sagte die Frau mit sanfter Stimme.
»Ja?«
»Mein Chef hat mich gebeten, Sie noch einmal darauf hinzuweisen, daß diese Informationen absolut vertraulich sind.«
»Absolut«, sagte Griessel und lächelte.
»Ich verstehe Ihre Position, Herr Doktor, aber Sie müssen auch meine verstehen. Dort draußen läuft ein Mann mit einer Mauser
herum, der nach Ansicht der Kriminologen endgültig durchdreht. Und hier bei Ihnen liegt eine Frau, die uns helfen kann, weiteres
Blutvergießen zu verhindern.«
Joubert war stolz auf seine Wortwahl.
»Sie verstehen mich nicht, Captain. Ihr Zustand ist … Sie befindet sich auf Messers Schneide. Meine einzige Verantwortung
gilt ihr.«
Er spielte seine Trumpfkarte. »Herr Doktor, ich kann vor Gericht gehen und eine Befragung beantragen.«
»Captain, das Gericht wird mich ebenfalls anhören.«
Sie standen einander im Flur der Privatklinik gegenüber. Der Arzt war klein und schlank und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich werde sie fragen, ob sie bereit ist, mit Ihnen zu sprechen.«
»Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.«
Joubert wartete, während der Arzt eine Tür öffnete und |370| verschwand. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen, zog sie wieder heraus. Er war unzufrieden. Er hatte keine Zeit, hier
zu warten. Er wandte sich um und marschierte über den dicken Teppich. Er ging hin und her.
Der Arzt kehrte zurück. »Sie sagt, sie schuldet es Ihnen.«
»Vielen Dank, Herr Doktor.«
»Fünf Minuten, Captain. Und bitte, seien Sie sehr vorsichtig mit ihr.«
Er öffnete Joubert die Tür. Antoinette Nienaber sah schrecklich aus. Die Falten um ihren Mund waren tief eingebrannt. Ihre
Augen lagen in dunklen Höhlen, ihr Gesicht war der geisterhafte Abdruck eines Schädels. Sie ruhte mit dem Kopf auf dicken
Kissen, ihr Oberkörper war leicht angehoben. Ein Tropf hing an ihrem Arm, ein Kabel schlängelte sich zu dem Plastikbeutel.
Sie trug einen hellblauen Pyjama. Ihr blondes Haar bedeckte das Kissen.
Joubert trat an das Bett. »Es tut mir leid«, sagte er ratlos.
»Mir auch.« Ihre Stimme klang fern. Er bemerkte Spuren eines Beruhigungsmittels in dem unscharfen Blick, der in seine
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