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Der Traurige Polizist

Titel: Der Traurige Polizist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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der anderen Menschen das Leben nahm.
    Anne Boshoffs Büro befand sich in einem alten, restaurierten |250| Haus mit Giebel. Davor, in dem ordentlichen Garten, stand ein Schild: KRIMINOLOGISCHE ABTEILUNG, UNIVERSITÄT STELLENBOSCH.
     Er parkte seinen Wagen und stieg aus. Der Nachmittag war warm und windstill. Er zog sein Jackett aus und legte es sich über
     die Schulter. Er rückte die Z88 in ihrem Lederholster an seinem Gürtel zurecht.
    Zwei Studenten kamen über den Weg auf ihn zu. Sie betrachteten neugierig den Polizeiwagen, ihn, die Waffe. Sie sahen ihn das
     Gartentor öffnen.
    »Ich finde auch, daß die Klausur zu schwierig war – sperren Sie ihn ein!« sagte einer.
    Joubert grinste und betrat die kühle Veranda. Die Haustür stand offen. Zögernd ging er hinein. Das Haus schien verlassen.
     Er sah Namensschilder an den Türen. Er ging einen Flur entlang. Ganz am Ende sah er Anne Boshoffs Tür. Sie stand offen. Er
     schaute hinein.
    Sie saß vor einem Computer, sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihm fiel ihr kurzes schwarzes Haar auf, kürzer als sein eigenes.
     Er betrachtete ihren Hals, einen Teil ihrer Schulter.
    Sie bemerkte ihn und wandte sich um.
    Er betrachtete ihr Gesicht, die hohe Stirn, die weit auseinander stehenden Augen, die breiten Wangenknochen, die beinahe osteuropäisch
     wirkten, den breiten, vollen Mund, den kräftigen Kiefer. Sie schaute ihn mit dunklen, aufmerksamen Augen von oben bis unten
     an.
    »Ich bin Mat Joubert«, sagte er, fühlte sich dabei aber unwohl.
    »Am Telefon klangen Sie wie ein alter Mann«, erwiderte sie und drehte ihren Stuhl herum. Er bemerkte, daß sie kräftig |251| gebaut war und ein kurzes Kleid trug. Er löste seinen Blick von ihren wohlgeformten, braungebrannten Beinen.
    Er stand zwischen der Zimmertür und ihr. Sie erhob sich. Sie war groß, fast so groß wie er.
    »Setzen wir uns«, sagte sie und ging zu einem kleinen Tisch in der Ecke des großen Zimmers. Er sah, wie sich die Muskeln ihrer
     kräftigen Beine unter der Haut bewegten. Dann schaute er weg, betrachtete den Rest ihres Büros. Es war unordentlich. Überall
     Bücherstapel. Ein kleines Bücherregal hinter dem Schreibtisch quoll über. Ein Rennrad lehnte an der Wand. Der einzige Stuhl
     im Zimmer war der vor dem Computer. An der Wand vor dem Fenster standen Kisten voller Unterlagen. Anne Boshoff wandte sich
     um und setzte sich auf eine der Kisten, sie streckte ihre langen Beine vor sich aus. Mit einer Hand deutete sie auf eine weitere
     Kiste; sie trug keine Ringe an den Fingern.
    »Machen Sie es sich gemütlich.«
    Er rückte die Z88 an eine bequemere Stelle und setzte sich.
    »Stimmt das, was man über Männer sagt, die große Waffen tragen?«
    Er schaute sie an. Ihr Mund war breit und rot und lächelte.
    »Ich … äh …« Sie war extrem sexy.
    »Tolle Antwort«, sagte sie.
    »Nun, ich …«
    »Was wollen Sie von mir, Mat Joubert?«
    »Ich …«
    »In dem Mordfall, meine ich.«
    »Ja, ich …«
    »Die Statistik? Die könnte helfen. Könnte Ihnen ein Bild vermitteln, aber es ist ein amerikanisches Bild. Die Amerikaner haben
     den Standard für Massenmörder gesetzt, und wir |252| folgen nun ihren Spuren. Wir sind sozusagen ein kleines Amerika. Also, die Zahlen könnten Ihnen helfen. Wissen Sie, wie stark
     derartige Verbrechen in den letzten zwanzig Jahren zugenommen haben? Exponentiell. Das ist im Grunde ein Vorwurf gegen die
     westliche Zivilisation, Mat Joubert.« Sie schaute ihn an, während sie sprach, sie konzentrierte sich, und er saß im direkten
     Scheinwerferlicht ihrer Konzentration.
    »Ist …«
    »Die Statistik sagt, Ihr Mörder ist ein Mann. Ein Mitglied der Mittelschicht, auf dessen Schultern seine Geschichte lastet.
     Warum ein Mann? Weil es meistens Männer sind. Sie sind ein Geschlecht, das Probleme damit hat, das Gefängnis der Mittelschicht
     zu ertragen. Wir leben in einer Zeit, in der wir unseren Söhnen beibringen, daß sie etwas erreichen müssen, daß sie mehr zustande
     bringen müssen, reich werden müssen. Und wenn sie es nicht schaffen … Und warum Mittelstand? Weil das die meisten Menschen
     sind. Ist das nicht eigenartig? In früherer Zeit kamen die paar Massenmörder aus der Unterschicht. Sklaven und Prostituierte,
     der Abschaum der Welt. Heute ist es die Mittelschicht. Manchmal untere Mittelschicht, wie bei Charles Starkweather, manchmal
     obere Mittelschicht, wie Ted Bundy. Ihre Lebensgeschichte? Kann sehr unterschiedlich sein. Wissen Sie, wie viele

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