Der Tristan-Betrug
eine gemalte Waldkulisse, im Vordergrund ein paar einzelne Bäume - und in der Mitte Lana. Metcalfe beobachtete sie fasziniert.
Als Schwanenkönigin Odette trug Lana ein eng sitzendes, mit Federn und Tüll besetztes Tutu, das ihre schmale Taille betonte. Auf ihrem zu einem straffen Nackenknoten zusammengefassten Haar trug sie einen Federkopfschmuck. Sie wirkte zart und zerbrechlich, erstaunlich vogelähnlich. Während sie mit Prinz Siegfried tanzte, wurden sie von Schwanenjungfern umkreist, die nacheinander abtraten, bis Odette und Siegfried allein zurückblieben. Er hob sie elegant, setzte sie sanft ab, wobei seine Hände ihren Körper umschlossen; sie umarmte ihn, legte ihren Schwanenhals zärtlich an seinen. Metcalfe empfand lächerliche Eifersucht wie einen Stich ins Herz.
Dabei war dies nur ein Tanz, sonst nichts: Lanas Arbeit, ihr Job, bei dem der Prinz nur ein Arbeitskollege war.
»Also gut«, sagte Metcalfe. »Bringen Sie mich in die Garderobe. Dort kann ich bis zur Pause auf sie warten.«
»Sorry, aber eigentlich dürften Sie gar nicht hier sein«, sagte eine ruhige Stimme, die Englisch mit russischem Akzent sprach.
Metcalfe drehte sich perplex um - konnte das der schweigsame Bühnenarbeiter gewesen sein? - und sah dann, wer gesprochen hatte. Er erkannte das blonde Haar, die blassgrauen Augen.
Der NKWD-Mann! Er stand kaum zwei Meter von ihm entfernt und hatte seine Pistole auf ihn gerichtet.
»Ja, Sie sind der Spion«, fuhr der NKWD-Agent mit kaum hörbarer Stimme fort. Der junge Bühnenarbeiter beobachtete ihn sichtlich erschrocken. »In dieser Maskerade habe ich Sie im ersten Augenblick nicht erkannt. Nun, wenn Sie Miss Baranowa auf der Bühne sehen wollten, hätten Sie wie jedermann eine Eintrittskarte kaufen sollen. Unbefugte haben hinter der Bühne nichts zu suchen. Kommen Sie bitte mit.«
Metcalfe lächelte. »Eine Schusswaffe ist wertlos«, antwortete er, »außer Sie wollten sie wirklich gebrauchen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mitten in einem Pas de deux herumballern wollen. Das würde Miss Baranowas Konzentration stören und den Kunstgenuss des Publikums trüben, nicht wahr?«
Der Blonde nickte mit ausdrucksloser Miene. »Mir wär's lieber, wenn ich nicht schießen müsste, aber stünde ich vor der Wahl, Sie entkommen zu lassen oder die Vorstellung zu stören ... Nun, da hätte ich eigentlich keine Wahl.«
»Eine Wahl hat man immer«, sagte Metcalfe und wich dabei langsam zurück. Er spürte das Gewicht der Pistole in der Innentasche seiner Jacke, aber es war nicht beruhigend, weil der Russe abdrücken würde, bevor er die Waffe ziehen konnte. Die ruhige Gelassenheit des NKWD-Manns sagte Metcalfe, dass der Russe nicht zögern würde, ihn zu erschießen.
»Lassen Sie Ihre Hände, wo ich sie sehen kann«, wies der Blonde ihn an.
Metcalfe sah nach links, begutachtete die Seile und Flaschenzüge, die er in Reichweite hatte. Hoch über ihnen hing ein unten mit Blei beschwerter zweiteiliger Samtvorhang, der von einem Seil gerafft und fixiert wurde. Metcalfe legte die Hände auf den Rücken und wich so zurück, als habe der NKWD-Agent ihn eingeschüchtert.
»Nicht schießen!«, sagte er mit ängstlicher, leicht zitternder Stimme. »Sagen Sie mir einfach, was Sie wollen.«
Das Seil! Es war da; er konnte es ertasten! Hinter seinem Rücken, wo der Russe sie nicht sehen konnte, machten seine Finger sich daran, den Knoten zu lösen.
Der NKWD-Mann gestattete sich ein schwaches Lächeln, das eher wie ein höhnisches Grinsen aussah. »Mit Ihrem Theater können Sie mich nicht täuschen. Hier können Sie nicht wieder flüchten, hier gibt's keine Fluchtwege. Ich schlage vor, dass Sie unauffällig mitkommen.«
»Und was dann?«, fragte Metcalfe.
Endlich war der Knoten gelöst. Das Seil schnellte sofort nach oben, und der schwere Vorhang rauschte herab - genau auf den Blonden zu. Der Russe hörte das Rauschen, hob den Kopf und brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit, bevor die mit Blei beschwerten Stoffmassen ihn trafen. Aber er war aus dem Gleichgewicht gebracht, hielt seine Pistole nicht mehr schussbereit, zielte damit nicht mehr auf Metcalfe. Der junge Bühnenarbeiter jaulte kurz auf und rannte davon.
Metcalfe flüchtete jedoch nicht, sondern stürzte sich auf den Blonden. Er prallte mit dem NKWD-Agenten zusammen, warf ihn zu Boden, hielt ihn unter sich fest und rammte ihm ein Knie in den Magen.
Aus dem Zuschauerraum kam plötzlich lautes Stimmengewirr. Das Orchester spielte
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