Der Triumph der Heilerin.indd
dort und dann, für einen kurzen Augenblick, erschien das Profil einer Frau, das sich umwandte und zu erkennen gab. Margaret starrte gebannt auf den Bischof und sah nichts. Sie sah nicht den Arm, der sich erhob, sah nicht den nackten Frauenarm mit dem Schwert. Sah nicht, wie sich der Arm nach unten senkte und das Schwert die Luft durchschnitt ...
Margaret zerrte am Halsbund des Bischofs, um ihn zu lockern. Anne aber war ganz ruhig und sprach wie aus weiter Ferne: »Lasst ihn, Herzogin. Lasst den Teufel sein Werk vollenden.«
Odo war außer sich vor Wut über dieses Sakrileg, über die Respektlosigkeit, die aus den Worten der jungen Frau sprach. In seinem sterbenden Körper gefangen, sammelte er noch einmal alle seine Kräfte und wollte sprechen, aber die Worte ertranken in seinem Speichel. Da nahm er einen Geruch wahr. Mit seinen letzten Atemzügen sog er die Luft ein. Schwefel. Es roch nach Schwefel! Der Bischof gab ein würgendes Geräusch von sich, und in seinem hochroten Gesicht drehten sich die Augen nach oben. Dann wich das Blut zurück und hinterließ ein aufgedunsenes, wächsernes Gesicht. Sein Bewusstsein jedoch war noch nicht vollständig erloschen. Mit sterbenden Augen sah Odo nach unten auf seine nackten Füße, die über einem schwindelerregenden schwarzen Loch baumelten, an dessen Grund ein Meer von Flammen brodelte. Verzweifelt schaute er nach oben, hoffte, einen anderen, freundlicheren Ort zu erblicken, sah aber nur eine dunkeläugige Frau mit wehenden Haaren im schwefeligen Wind, die auf ihn herabstarrte. Schneckenförmige Muster bedeckten ihr Gesicht, und um ihren Hals lag ein Band aus massivem Gold. Von diesem Anblick zutiefst erschrocken, machte sein Herz seinen letzten Schlag.
»Wer ...?« Er konnte nicht sprechen, sah aber mit Entsetzen, wie die Frau lächelte und ihren Arm hob. Unter ihrer straffen Haut spielten die Muskeln, als sie das Schwert noch einmal über ihren Kopf kreisen ließ. Nun verstand er: Er hatte sein ganzes Leben lang der falschen Sache gedient, und nun war dieses Leben zu Ende.
»Was bist du?«, wollte er sagen, aber er bekam keine Luft mehr. Seine Augen folgten den Bewegungen der Frau, die nun das Schwert nach unten richtete. Auf ihn.
Kapitel 41
Die Herzogin von Burgund betrachtete nachdenklich den Leichnam des ihr so verhassten Prälaten. Gemeinsam mit Anne hatte sie die sterbliche Hülle von Bischof Odo aufrecht in den Bischofsstuhl gesetzt. Das war kein leichtes Unterfangen, denn er war im Leben ein recht korpulenter Mann gewesen. Butter, Sahne, Eier und reichlich vom guten Gänseschmalz hatten im Lauf von vielen Jahren zu seiner ansehnlichen Körperfülle beigetragen. Im Tod verliehen ihm das Mehrfachkinn und der kahle Schädel das Aussehen eines monströsen Säuglings. Entsetzt starrten die beiden Frauen auf den erkaltenden Leichnam. Ihre Lage war verzweifelt. Margaret hatte, bevor sie kam, ihre vertraute Zofe beauftragt, den Knaben, der vor Annes Zelle wachte, fortzulocken, aber er konnte jeden Augenblick zurückkom-men. Wie sollten sie das Geschehene erklären? Die Gewissheit, die Margaret noch eine Stunde zuvor empfunden hatte, dass allein sie in der Lage wäre, Anne zu retten, hatte sich in Luft aufgelöst, und manche der Worte, die der Bischof gesagt hatte, drängten sich ihr furchterregend wieder in das Gedächtnis. Gehorsam. Pflicht. Hexerei. Konnte sie ihrem Gemahl wirklich in die Augen schauen und ihm die Geschehnisse dieser Nacht verheimlichen?
Anne spürte die wachsende Furcht der Herzogin. »Margaret, hört mir zu. Wir schaffen das.« Einen Arm um die Taille ihrer Freundin gelegt, hielt Anne sie aufrecht und zwang sie, ihren Blick von dem Leichnam abzuwenden. »Wie viele Menschen wissen, dass Bischof Odo heute Abend im Prinzenhof ist?«
Der Schrecken hatte Margarets Verstand benebelt. »Hm. Genug. Die Torwächter haben ihn wahrscheinlich eingelassen. Die Diener von Karl werden es auch wissen und natürlich die Mönche des Bischofs.« Die Herzogin war in einer eigenartigen Stimmung. Sie kicherte. »Aber warum sollten sie sich Sorgen machen? Warum sollen wir uns überhaupt Sorgen machen? Im Moment geht er nirgendwo hin, unser kleiner, toter Bischof.«
Anne fasste ihre Freundin an der Hand und drückte sie. »Wir müssen die Leute glauben machen, der Bischof hätte den Palast verlassen. Ich bleibe hier in diesem Zimmer. Die Wachen sollen wissen, dass ich noch da bin. Und Ihr müsst gehen, bevor Euch jemand sieht.«
Doch die Herzogin rührte sich
Weitere Kostenlose Bücher