Der Triumph der Heilerin.indd
»Nicht so weise, wie Ihr glauben mögt. Aber bei dieser Gelegenheit kann ich Euch sagen, was die Zukunft für Euch bereithält. Sollte Gott entscheiden, Euch zu sich zu rufen und in seine liebenden Arme zu schließen, so kann ich als sein Werkzeug auf Erden dafür sorgen, dass sein Wille geschehe. Jedoch, ein langes Leben ist besser als ein kurzes Leben, und Gott ist barmherzig, selbst zu Euresgleichen. Ihr habt die Wahl. Wie lautet Eure Antwort, Julian de Plassy?«
Kapitel 7
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Kapitel 43
Kapitel 50
Kapitel 57
Kapitel 65
Kapitel 74
Kapitel 83
Kapitel 7
Anne zitterte. Es war die stille Stunde vor Tagesanbruch, und es war dunkel und kalt. Sie kniete auf ihrem Betschemel und flehte um Hilfe und Führung.
Fast jeder Silberpenny und jeder Engelstaler, die sie aus ihren Handelsgeschäften in Brügge beiseitegelegt hatte, waren in den Erwerb und den Ausbau ihres kleinen Bauernhofs geflossen. Sie besaß noch einige kostbare Möbelstücke, darunter auch ihr Bett, und das große, fromme Gemälde mit ihrem Porträt, das sie bei dem deutschen Maler Hans Memling in Auftrag gegeben hatte. Alles andere hatte sie verkaufen müssen, um Ackerpferde, Saatgut, den teuren Räderpflug und die für die Bestellung des Bodens nötigen Arbeitskräfte zu bezahlen. Sie hatte Pläne gehabt, große Pläne, wie sie ihre Landwirtschaft entwickeln und ihrem Sohn eine behütete Kindheit sichern wollte. All dies schien nun seinen Sinn verloren zu haben.
Am Abend zuvor hatte sie von Herzogin Margaret die Bestätigung erhalten, dass Edward am Leben war, dass aber Karl von Burgund ihm nicht erlaube, nach Brügge zu kommen. Ja, er hatte sogar seiner Gemahlin verboten, ihren Bruder zu besuchen und ihm auf irgendeine Art zu helfen.
Anne schlug die Augen auf. Kerzen flackerten in der Dunkelheit. Warum? Warum hatte sich Karl gegen Edward, seinen Schwager und Freund, gewendet? Und was sollte sie tun - was konnte sie tun -, um Edward zu helfen? Sollte sie mit ihrem Sohn nach London ziehen, da der König abgesetzt worden war? Elizabeth Wydeville war nicht länger Königin, vielleicht verfolgte sie sie nun auch nicht länger in ihren Albträumen, war nicht länger eine ständig lauernde Bedrohung für das Kind, das sie als ihren Neffen ausgab.
Aber wenn Margaret von Anjou nach England zurückkehren und Annes leiblicher Vater, Henry VI., wieder eingesetzt werden würde, wäre sie dann in ihrem Heimatland überhaupt willkommen? Dann würde ihr Halbbruder, auch ein Edward, regieren. Würde Margaret das uneheliche Kind ihres Gatten, die Enkelin von Henry V., in ihrem wiedererrichteten Königreich überhaupt dulden? Anne wusste, dass Margaret ihre Mutter Alyce hatte töten lassen wollen. Damals, als sie erfahren hatte, dass Alyce ein Kind von ihrem Gemahl erwartete. Und nun hatte Anne selbst ein Kind von einem König.
Es war alles so kompliziert. Anne schloss ihre schmerzenden Augen. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun?
»Jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür.« Anne zuckte zusammen und drehte sich um. Deborah stand in der offenen Tür und hielt eine Lampe hoch.
»Wie kommst du darauf?«
Deborah sah sich um, dann schloss sie die Tür. Sie ging zur Feuerstelle und begann, Späne über das Stroh zu schichten. »Politik. Und die Nachrichten über den König gestern Abend. Du musst warten, bis du noch mehr erfährst. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Entscheidungen zu treffen.« Sie schlug Funken aus dem Feuerstein.
»Aber ich brauche einen Rat, Deborah. Dringend. Es ist alles so kompliziert.«
Deborah lächelte. »Also, ich gebe dir folgenden Rat. Erst ziehen wir uns an. Dann wird gegessen. Das sind einfache Dinge. Und dann? Dann denken wir nach.«
Annes winziges Arbeitszimmer war der einzige Raum in dem geschäftigen Haus, in dem sie wirklich für sich sein konnte. Die Sonne mühte sich redlich, die Welt mit ihrem fahlen Licht zu erhellen, und Deborah richtete das Frühstück auf dem niedrigen Tischchen her, das vor dem zischenden Feuer stand. Auf dem Tisch war gerade genug Platz für eine Schale mit frischem Ziegenquark, ein Stück Hartkäse, einen Steinkrug mit eingelegten Walnüssen aus eigener Ernte und einen warmen Brotfladen, der in dem Steinofen, den Leif Molnar im Hof gebaut hatte, gebacken worden war.
Anne zog einen Hocker heran und hielt ihre Hände vor die Flammen. Jeden Morgen wurde es jetzt ein bisschen kälter, und sie war froh über die Wärme. »Ich denke die ganze Zeit an Edward,
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